Das Bild zeigt ein Smartphone unter einer Lupe.
Strafverfolgungsbehörden würden im Fall des Falles auch gerne in Ende-zu-Ende-verschlüsselte Nachrichten Einblick nehmen.
KIRILL KUDRYAVTSEV / AFP

Die Entwürfe der EU zur geplanten Chatkontrolle stoßen erneut auf scharfe Kritik. Trotz früherer Ablehnungen und ernsthafter Bedenken treibe die Politik die Einführung einer neuen Massenüberwachung voran – so lautet der Vorwurf in einem offenen Brief von 217 Wissenschaftern und Forschern aus 30 Ländern, die die jüngsten Änderungsvorschläge zur EU-Verordnung für die Bekämpfung von Kindesmissbrauch beleuchtet haben.

Die Chatkontrolle, die das Einsehen von Ende-zu-Ende-verschlüsselten Nachrichten durch Behörden vorsieht, soll offenbar noch heuer während der laufenden EU-Ratspräsidentschaft beschlossen werden: ohne dass eine öffentliche Debatte darüber stattfindet, die der Bedeutung und Tragweite ihrer Maßnahmen angemessen wäre. Die Forscher argumentieren gegen das derzeitige Vorhaben, dass die aktuellen Änderungen im Widerspruch zu Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stehen und grundlegende Schwächen der verwendeten Technologien nicht adressieren.

Sie kritisieren, dass die EU mit den neuen Maßnahmen weitreichende Überwachungsmöglichkeiten schaffe – ohne sich mit akademischen Expertinnen und Experten zum Thema ausgetauscht zu haben und ohne Daten über die Wirksamkeit der geplanten Methoden bereitgestellt zu haben.

Problematische Methoden

Besonders problematisch sehen die Wissenschafter die Einführung von sogenanntem Client-Side-Scanning. Sie argumentieren, dass es dadurch unmöglich sei zu kontrollieren, was genau überwacht werde und welche Kriterien für eine Überwachung zur Anwendung kämen. In Summe untergrabe das Vorhaben der EU "eine sichere digitale Zukunft für unsere Gesellschaft" und hätte "enorme Folgen für demokratische Prozesse in Europa", heißt es in dem Schreiben.

Nur Dienste zu überwachen, die für den Austausch von Missbrauchsmaterial als "hohes Risiko" eingestuft werden, dürfte ohnehin nicht zielführend sein. Die Forscher erläutern in diesem Zusammenhang, dass nach diesen Plänen grundsätzlich alle Dienste, die Standardfunktionen wie den Austausch von Nachrichten und Bildern ermöglichen, potenziell als hochriskant eingestuft werden müssten. Zudem könnten Kriminelle einfach zu anderen Anbietern wechseln, sobald sie mitbekommen, dass die Überwachung einer bestimmten App stattfindet – das würde früher oder später alle größeren Dienste zu Hochrisikodiensten machen und somit sehr ineffizient sein.

In Bezug auf den Datenschutz bemängeln die Wissenschafter auch die Vorschläge zur Altersverifikation und -bewertung als unüberlegt. Sie fordern eine gründliche Prüfung solcher Technologien, bevor sie implementiert werden, um negative Auswirkungen auf Privatsphäre und Diskriminierung der Nutzerinnen und Nutzer zu vermeiden.

Expertise gefragt

Nicht zuletzt kritisieren die 217 Unterzeichner generell den Mangel an Transparenz bei der Chatkontrolle und legen dringend nahe, ernsthafte Gespräche mit Expertinnen und Experten über die Machbarkeit und Sicherheit zu führen. Sie plädieren dafür, dass Schutzmaßnahmen für Kinder nicht zulasten der Kommunikationssicherheit aller gehen dürfen, und betonen eine ganz andere Notwendigkeit: nämlich den Missbrauch an sich zu bekämpfen, anstatt sich nur auf die Beseitigung von Missbrauchsmaterial zu konzentrieren. (bbr, 30.4.2024)