Das französische Onlinemedium Mediapart hat in seinen 16 Jahren bereits viel aufgewirbelt: Die Enthüllungen brachten den französischen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy in Untersuchungshaft, führten zum Rücktritt von zwei Ministern und starteten die MeToo-Bewegung in Frankreich.

OberChefredakteurin von Mediapart: Valentine Oberti.
Chefredakteurin von Mediapart: Valentine Oberti.
IJF Francesco Cuoccio

Wie kann man Investigativjournalismus finanzieren?

Für diese investigative Recherchen braucht es neben exklusiven Informationen vor allem eines: ausreichend Ressourcen. Recherchen brauchen Zeit und Aufwand. Doch wer finanziert langwierige und oft riskante Recherchen? Diese Frage diskutierten beim diesjährigen Internationalen Journalismus-Festival (IJF) in Perugia Teilnehmende des Panels "How to fund investigative journalism".

Für Valentine Oberti ist klar: Soll das Medium wirklich unabhängig sein, dürfe man sich weder vom Staat noch von Industriellen finanzieren lassen. Oberti ist eine von zwei Chefredakteurinnen von Mediapart.

"Nur unsere Leser und Leserinnen können uns kaufen"

"99 Prozent unserer Einnahmen kommen von den Abonnements, das garantiert unsere Unabhängigkeit", sagt Oberti. Ein Abo kostet zwölf Euro, fünf Euro für Personen mit geringem Einkommen. 220.000 Abonnentinnen und Abonnenten zahlen dafür, die Artikel hinter der Paywall zu lesen. Das ist bemerkenswert in einem Land, in dem laut dem Digital News Report 2023 überhaupt nur elf Prozent für Online-Nachrichten bezahlen.

"Menschen zahlen für Nachrichten, wenn sie dort etwas lesen, das sie sonst nirgendwo finden", erklärt Oberti diesen Erfolg. Mediapart fokussiert sich auf zwei Arten von Berichten: große Investigativrecherchen und längere Analysen, um politische Zusammenhänge besser zu verstehen. "Es geht darum, Informationen zu enthüllen, die von öffentlichem Interesse sind. Wer das schafft, spricht bestimmt jemanden an, der auch dafür zahlen will."

Mediapart versucht auch, mit Sonderaktionen und Testabos neue Abonnentinnen und Abonnenten anzusprechen. Außerdem bieten sie 17 verschiedene Newsletter an. Die sind gratis wie die wöchentliche Nachrichtensendung A l’air libre auf Youtube und alles, was Mediapart auf sozialen Medien veröffentlicht. "Das ist ein Fenster zu unserer Arbeit", sagt Oberti.

Mediapart kommt ohne staatliche Unterstützung aus, das Medium verkauft nicht einmal Anzeigen. "Wir wollen diese Hilfe nicht, finanzielle Unabhängigkeit ist unser oberstes Prinzip. Nur unsere Leserinnen und Leser können uns kaufen, das ist auch unser Slogan", erklärt Oberti.

"Wir wissen, was Sie in der letzten Legislaturperiode gemacht haben"

Ebenfalls am Panel saß Claudia Báez. Sie ist die Gründerin und CEO von Cuestión Pública, einer kolumbianischen Investigativplattform. Ähnlich wie den Menschen hinter Mediapart ist es auch ihr wichtig, sich ohne potenzielle Interessenkonflikte finanzieren zu können. Denn auch Báez ist überzeugt: Nur wer finanziell unabhängig agiert, kann auch redaktionell frei arbeiten.

Sie setzen allerdings nicht auf klassische Abonnements, sondern auf ein Mitgliedschaftsmodell. Der Unterschied liegt darin, dass die Artikel nicht hinter einer Paywall versteckt sind. Die Mitglieder zahlen, weil sie Cuestión Pública unterstützen wollen. "Diese Beiträge machen aber nur einen minimalen Anteil von unserem Einkommen aus", sagt Báez. Eine Paywall wollen sie trotzdem nicht einführen, sie möchte die Informationen frei zugänglich lassen. "Wir machen Investigativjournalismus für alle. Daher sollen ihn auch alle lesen können."

Cuestión Pública finanziert sich hauptsächlich über Förderungen von internationalen Organisationen wie der Open Society Foundation. Abgesichert sind sie aktuell für die nächsten zwei Jahre.

Seinen "wilden Durchbruch", wie ihn Báez bezeichnet, erlebte das Medium Ende 2018 mit der Crowdfunding-Kampagne "Wir wissen, was Sie in der letzten Legislaturperiode gemacht haben". Dafür haben sie die kolumbianische Bevölkerung aktiv eingebunden: Auf einer Website konnte sie gegen eine Spende für ein Kongressmitglied stimmen, dessen Korruptionsvergangenheit sich Cuestión Pública näher anschauen sollte. So waren die Recherchen nicht in ihrem eigenen journalistischen Interesse begründet, sondern in dem der Bevölkerung; ein Prinzip, das Báez wichtig findet.

Ein neuer Ton

Die Crowdfunding-Kampagne war erfolgreich. Bereits ein Jahr nach der Gründung wurden sie 2019 mit dem Premio Nacional de Periodismo Simón Bolívar für eine Investigativreportage ausgezeichnet, die sich mit Beziehungen zwischen dem Ex-Präsidenten Kolumbiens Alvaro Uribe und dem brasilianischen Unternehmen Odebrecht befasste.

Cuestión Pública füllte eine Lücke: Die traditionellen kolumbianischen Medien kämpfen schon lange mit Vertrauensverlusten. Sie gelten als politisch motiviert, unter anderem auch wegen ihrer finanziellen Abhängigkeit von institutionellen Geldgebern wie Banken und dem Staat.

Die Investigativplattform sticht nicht nur aufgrund der freien Themenwahl aus der Masse heraus, sondern auch wegen ihrer Tonalität. Báez beschreibt sie als sarkastisch und angriffig. Das hilft, komplexe Geschichten aufzulockern. Sie wollen so vor allem ein junges Publikum ansprechen. In Zukunft wird Cuestión Pública auch vermehrt auf Videos setzen, um über soziale Medien noch mehr junge Menschen zu erreichen.

Aus Frust gegründet

Die Geschichte der französischen Seite Mediapart geht weiter zurück. Das Medium haben vier Journalisten mit jahrzehntelanger Erfahrung, auch in leitenden Positionen, bei großen französischen Zeitungen wie Le Monde oder Libération 2008 gegründet.

Sie starteten Mediapart aus Frust über die französische Medienlandschaft, die von industriellen Interessen und großen Eigentümern geprägt ist. So gehören etwa zwei der fünf größten überregionalen Zeitungen Bernard Arnault, CEO des Luxushauses LVMH und reichster Mann der Welt.

Oberti hat ihren vorherigen Arbeitgeber, die Infotainment-Fernsehshow Quotidien, verlassen, weil sie nicht das Gefühl hatte, wirklich frei arbeiten zu können. Ein Auslöser war ihre Recherche über Frankreichs Verkäufe von Waffen, die im Jemen-Krieg verwendet und dort auch gegen Zivilisten eingesetzt wurden. "Ich hatte alle Dokumente, die den Verkauf beweisen, und habe den französischen Verteidigungsminister damit konfrontiert. Er drohte dem Sender daraufhin mit rechtlichen Schritten", erzählt Oberti. Ihre Recherche wurde gestoppt. "Mit dem Vorwand, dass ich nicht ernsthaft genug recherchiert hätte."

Kapital in gemeinnützigem Fonds

Den Start finanzierten die Mediapart-Gründer mit eigenem Geld. Mit kleineren Spenden und Abo-Einnahmen konnten sie nicht nur in Personal und neue Projekte investieren. Sie bildeten auch Rücklagen in Höhe von 4,4 Millionen Euro. Das Unternehmen wird heute mit 16,3 Millionen Euro bewertet.

Seit 2019 sind nicht mehr die Gründer selbst die Mehrheitseigentümer. Stattdessen gehört Mediapart zu 100 Prozent einem gemeinnützigen Fonds, dem Fonds pour la presse libre (FPL). Dort liegt also das gesamte Vermögen, unübertragbar und nicht käuflich. Eine einzigartige Struktur, die das Medium noch unabhängiger macht.

Frauen in leitenden Positionen

Eine weitere Einzigartigkeit ist die Zusammensetzung der Führungsetage: Bei Mediapart haben heute vier Frauen die top vier Positionen inne: Neben Valentine Oberti ist Lénaïg Bredoux Chefredakteurin, Carine Fouteau fungiert als Herausgeberin, und Céclie Sourd ist die Generaldirektorin.

"Das ist eine logische Konsequenz von dem, was wir tun", erklärt Oberti. "Mediapart war schon immer feministisch. Und als wir über die ersten sexuellen Übergriffe von Politikern berichteten, war das auch der Start einer internen Reflexion über Gleichstellung."

Auch Claudia Báez definiert ihr Medium Cúesta Pública als feministisch: "Die Führungsebene besteht nur aus Frauen, und die Redaktion ist zu 80 Prozent weiblich." Und sie ist auffällig jung. Der Altersschnitt der 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Mediums bei etwa 25.

Für junge Menschen recherchieren

Bei Mediapart sind ebenfalls viele Generationen vertreten. Neben den alteingesessenen Gründerfiguren rekrutiert die Plattform auch regelmäßig neue, junge Talente.

Das Ziel ist es, auch das Publikum zu "verjüngen". Das soll gelingen, indem die Redaktion einerseits Themen, die junge Leute interessieren, aufgreifen. Neben Sexismus und Gender-Themen sind das auch investigative Recherchen in Sachen Klimaschutz und Umwelt.

"Wir müssen aber auch darüber nachdenken, wie wir die Geschichten erzählen", meint Oberti. Auch sie spricht von mehr Videocontent auf den sozialen Medien. Dort kooperiert Mediapart außerdem mit jungen Journalisten und Journalistinnen, die eine starke Social-Media-Präsenz haben. Oberti: “Wenn uns junge Menschen schon jetzt auf diesen Plattformen kennenlernen, sind sie später eher bereit, für unsere Inhalte zu zahlen. Das ist zumindest unsere Hoffnung." (Andrea Gutschi, Lara Marmsoler, 24.4.2024)