Es gibt immer einen Ausweg. Zu diesem Schluss kann kommen, wer einen am Wochenende in der Washington Post veröffentlichten Bericht liest, der zahlreiche anonyme Quellen aus der US-Regierung zitiert. Der Ausweg, um den es geht, ist eine gesichtswahrende Möglichkeit für Israels Premier Benjamin Netanjahu, zugleich auf einen Angriff auf die Stadt Rafah im Gazastreifen zu verzichten und doch seine militärischen Pläne zu erfüllen.

Konkret haben die USA Israel demnach angeboten, bisher geheime Informationen darüber mit dem Verbündeten zu teilen, wo genau in Rafah sich bisher flüchtiges Führungspersonal der Hamas befindet und wo sich bis jetzt noch geheime Tunneleingänge in das unterirdische Netzwerk der islamistischen Terrororganisation finden lassen. Die Idee dahinter: Israel könnte dann gezielt gegen diese Einrichtungen vorgehen und könnte auf die oft angekündigte große Offensive auf die Stadt verzichten.

Willkommenes Leak

Aus Sicht der US-Regierung ist es ein Leak zu willkommener Zeit. Denn es nimmt Israels Premier Benjamin Netanjahu eines seiner tragenden Argumente, mit dem er den Sturm auf Rafah begründet: Nur bei einem Einsatz von Bodentruppen könne man sicherstellen, dass die noch in der Stadt befindlichen Reste der Hamas vernichtet würden.

In Rafah sind erneut zahlreiche Menschen auf der Flucht. Die USA wollen Israel von einer vollständigen Offensive abbringen.
REUTERS/Hatem Khaled

Washington sieht das anders und versucht Netanjahu seit Wochen von einer Offensive abzubringen. In den USA – und auch in Europa – fürchtet man für den Fall eines solchen Einsatzes eine humanitäre Katastrophe, weil sich in der sonst rund 150.000 Einwohner zählenden Grenzstadt derzeit etwa 1,5 Millionen Menschen befinden, die auf Anordnung der israelischen Armee aus anderen Teilen des Gazastreifens dorthin geflüchtet waren.

US-Präsident Joe Biden hat jüngst sogar mit der Streichung von Waffenlieferungen gedroht, sollte Israel doch eine Offensive starten. Das wäre ein Bruch in der engen militärischen und politischen Beziehung der beiden Länder. Für Biden, der inmitten seiner Wiederwahlkampagne steht, wäre es auch innenpolitisch ziemlich riskant.

Ärger in der Armee

Zugleich sind auch in Israel offenbar intern gefallene Kommentare öffentlich geworden. Demnach hat der Generalstabschef Herzi Halevi bei Sicherheitsberatungen mit Netanjahu erneut darauf gedrungen, einen Plan für eine zivile Verwaltung des Gazastreifens nach dem Sieg über die Hamas zu entwickeln. Schon bisher, habe Halevi den Meldungen nach geklagt, wirke sich das Fehlen konkreter Vorhaben aus: So müsse die Armee nun wieder im Norden des Gazastreifens tätig werden, wo man die Hamas eigentlich schon besiegt hatte. Weil dort aber ein po­litisches Vakuum herrsche, könne sich die Terrorgruppe wieder neu aufstellen.

Generalstabschef Herzi Halevi will wissen, was die Regierung plant.
IMAGO/Amir Cohen

Dass viele in der Armee und auch in Israels Geheimdiensten das Fehlen eines solches Planes beklagen, war schon bisher bekannt gewesen. Die nun deutlichen Worte sind allerdings neu. Hintergrund ist auch Verwirrung, die der Premier jüngst gesät hatte: Netanjahu hatte jüngst in einem Interview mit dem US-Talker "Dr. Phil" McGraw gesagt, man werde womöglich moderate arabische Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate in die Verwaltung einbinden. Deren Regierung hat den Vorschlag allerdings umgehend zurückgewiesen. (Manuel Escher, 12.5.2024)