Peaches gibt im Volkstheater eine One-Woman-Rhythmusmesse.
Peaches gibt im Volkstheater eine One-Woman-Rhythmusmesse.
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Bitte, Herr Professor, können wir wieder Alle Vöglein sind schon da von C-Dur auf D-Dur transponieren – oder ein wenig Schönberg und Bartók hören? Wir fühlen uns gerade ein wenig nicht so gut: Wer es in den 1970er- oder 1980er-Jahren mit fortschrittlichen Musiklehrern zu tun bekam, der kennt das Leid, das oft mit Rockmusik und dem dabei geforderten Niveau verbunden ist. Wir sprechen von der im Unterricht abgespielten Progressive-Rockband Emerson, Lake and Palmer und ihrer Interpretation von Modest Mussorgskis Pictures at an Exhibition von 1971. Man muss dazu auch Neil Diamonds Soundtrack zum Kitsch-mit-Möwen-Film Jonathan Livingston Seagull und die großen, leider auch verfilmten Strafmusicals oder "Rockopern" Hair und Jesus Christ Superstar rechnen. The Rocky Horror Picture Show lassen wir gelten, das war versaut. Zu Hair und Jesus wurde man dann zur endgültigen Traumatisierung in die Nachmittagsvorstellungen der "Aktion der gute Film" gezerrt, damit man in der nächsten Schulstunde darüber diskutieren konnte, solange alle derselben positiven Meinung waren. Kein Wunder, dass man da als vom Testosteron fehlgeleiteter junger, aufsässiger Mensch in die niederen Geschmacksbereiche der Unterhaltungskultur getrieben wurde und lieber Mercedes-Sterne mit den Ramones oder AC/DC im Walkman abzupfte. Achtung, das ist symbolisch gemeint.

Eine Rockoper der letzten Tage

Bei so vielem, von dem man im Erwachsenenleben hofft, dass es in der Vergangenheit begraben bleibt, genügt allerdings oft ein kleiner Anlass, um alles wieder hochkommen zu lassen. Nachdem uns die Millennials mit dem Hype um die schwedischen Scheidungsliederspezialisten Abba und den Mamma Mia-Filmen gequält haben, entdeckt gerade Peaches, die Electropunk-Chanteuse sowie Hipster-, Diversity- und Sexpositivity-Königin von Berlin, das ursprünglich als "Rockoper" gedeutete Musical Jesus Christ Superstar über die letzten Tage Jesu neu. Ganz frisch ist die Sache nicht, immerhin wurde das bisweilen auch als ironisch oder satirisch gelesene Musical aus der Feder der Musicalgroßmeister Andrew Lloyd Webber und Tim Rice von der 1966 im kanadischen Toronto geborenen Sängerin und Performerin laut Eigenbekunden schon in Teenagerjahren heiß und vollkommen ironiefrei geliebt. Erstmals aufgeführt 2010 mit Chilly Gonzales als Klavierbegleiter, wird Peaches nun im Wiener Volkstheater sämtliche Rollen des Musicals allein stemmen. Sie wird dabei vom Pianisten Mathias Susaas Halvorsen begleitet.

PeachesTV

Ihr letztes eigenes Album nach ihren gloriosen Anfängen mit Teaches of Peaches von 2000 und Klassikern wie Fuck the Pain Away sowie Nachfolgearbeiten wie Fatherfucker oder I Feel Cream liegt mit der Songsammlung Rub neun Jahre zurück. Fans der für extravagante In-die-Fresse-Shows vorne an der Rampe oder im Publikum geliebten Peaches müssen sich aktuell mit einer Sparflammenversion der Entertainerin zufriedengeben. Alles wird auf etwas antiquiert wirkende, im Repertoire von Musicaltournee-Aufführungen gern auch geplärrte Lieder wie What's the Buzz, Gethsemane oder Maria Magdalenas I Don't Know How to Love Him gesetzt. Für treue Fans von Peaches eine harte Prüfung, aber: Auch Jesus stieg nicht vom Kreuz herab. (Christian Schachinger, 7.5.2024)