Grant Naylor: "Roter Zwerg"
Broschiert, 329 Seiten, € 8,20, Blanvalet 2009.
"Ach, das!" werden sich zumindest diejenigen gleich denken, die daheim BBC Prime empfangen können, wo die Weltraum-Sitcom "Red Dwarf" seit Jahren in der Dauerschleife rotiert. Und in Sachen Camp-Faktor vermutlich jedes ältere Semester an die "Hitchhiker's Guide to the Galaxy"-Serie aus den frühen 80ern erinnert - "Doctor Who" ist dagegen jedenfalls Biiiiig Budget. Nur die Reihenfolge war bei "Red Dwarf" umgekehrt: Erst die TV-Serie, dann das Franchise nebst Romanen; geschrieben von den ursprünglichen Autoren der Serie: Rob Grant und Doug Naylor, die hier unter Kombi-Pseudonym auftreten. Trotz des Erfolgs diverser SF- und Fantasy-Parodien erscheinen diese Bücher erstaunlicherweise erst jetzt zum ersten Mal auf Deutsch, den Auftakt macht "Red Dwarf: Infinity Welcomes Careful Drivers", das exakt 20 Jahre auf dem Buckel hat. Der Roman ist aus den Plots mehrerer Folgen zusammengesetzt, was man unter anderem dem letzten Abschnitt anmerkt, der im Ton etwas von der vorherigen rein humoristischen Handlung abweicht. Großen Unterhaltungswert hat "Roter Zwerg" nichtsdestotrotz.
Zur Handlung: Nach einer Sauftour durch London ist der sympathische Tunichtgut David Lister zu seiner Überraschung auf dem Saturnmond Mimas aufgewacht, der als Halteplatz für Weltraumfrachter dient und ein wimmelndes Chaos darstellt, neben dem Rom wie eine verkehrsberuhigte Fußgängerzone wirkt. Sechs Monate lang "arbeitet" Dave hier ebenso schwarz wie vergeblich daran, das Geld für die Rückreise zur Erde zusammenzukratzen - schließlich heuert er beim Space-Korps an und wird als Hühnersuppenautomaten-Reiniger mit dem Sonic Super Mop in der Hand auf dem gigantischen Raumschiff "Roter Zwerg" eingesetzt. Das fliegt nämlich zur Erde - allerdings erst nach mehrjährigen Ehrenrunden, wovon Dave nichts ahnte. So begeht er gewitzt eine kleine Missetat, um zur Strafe in Stasis versetzt zu werden - was ihm das Leben rettet, als ein Strahlungsunfall die gesamte Besatzung auslöscht. Schiffscomputer Holly, der die "Roter Zwerg" aus Sicherheitsgründen auf Kurs aus dem Sonnensystem gebracht hat, weckt den einsamen Überlebenden sofort, nachdem die Strahlung abgeklungen ist. Drei Millionen Jahre sind vergangen.
Ganz allein ist Dave zum Glück - oder auch Pech - allerdings nicht. Außer Holly, der in der langen Zeit etwas verschroben geworden ist und die ersten Demenzerscheinungen zeigt, wäre da etwa das Schiffshologramm. Die Speicherkapazität der "Roter Zwerg" ist nämlich gerade groß genug, um ein gleichermaßen verdientes wie verstorbenes Besatzungsmitglied in virtueller Form auferstehen zu lassen ("Beschreiben Sie, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Diagrammen, die genauen Umstände, die zu Ihrem Tod geführt haben", lautet übrigens der erste Satz des Romans). Nach mehreren Vorläufern wird dafür ausgerechnet Daves Vorgesetzter Arnold Rimmer, ein neurotischer Pedant und vollkommener Versager, auserkoren. Die beiden hatten sich unter für Rimmer hochpeinlichen und für uns ebenso komischen Umständen bereits auf Mimas kennen gelernt, als Dave als Teilzeit-Taxifahrer Arnold zum Bordellbesuch kutschierte. Während ihrer gemeinsamen Dienstzeit wird Arnold zu Daves Nemesis - und auch in holografischer Form kann er noch gehörig nerven. - Kennern der TV-Serie fehlen damit noch zwei zentrale Charaktere: Da wäre zum einen Kater, der letzte Nachkomme einer Hauskatze, die Dave an Bord schmuggelte und deren Nachwuchs sich im strahlensicheren Laderaum im Lauf der Jahrmillionen über die Felis erectus schließlich zur Felis sapiens weiterentwickelte, um nach einem religiösen Schisma die "Roter Zwerg" zu verlassen. Bis auf Kater, die Apotheose der Selbstverliebtheit auf zwei Beinen; überdies mit einer exquisiten Riesengarderobe ausgestattet, die dem Wort Katzenwäsche ganz neue Aspekte abgewinnt. - Als letzte Hauptfigur stößt später noch der Reinigungsroboter Kryten hinzu, der durch seinen hirntoten Putzfimmel sein Raumschiff zum Absturz brachte und ebenfalls einige Millionen Jahre auf lebende Gesellschaft warten musste.
In dem Moment hörte er, wie etwas wie ein nuklearer Sturm durch den Korridor auf ihn zufegte. Es war ein nuklearer Sturm, der durch den Korridor auf ihn zufegte. - "Roter Zwerg" kommt unverkennbar aus derselben Lebensschule britischen Humors, die auch Douglas Adams oder Terry Pratchett hervorgebracht hat. Sei es die Beschreibung eines Selbstmords aus der Perspektive eines Gummibaums oder Hollys Feststellung, dass die Menschheit in der Zwischenzeit wohl ausgestorben sei - versehen mit der besorgten Nachfrage an Dave: "Standen Sie Ihrer Spezies sehr nah?" Und weil die Semiotik lehrt, dass der Sinngehalt einer Aussage von ihrem Kontext abhängt, braucht man nur einen entsprechenden Kontext - zum Beispiel den Verlust der Kausalität jenseits der Lichtgeschwindigkeit, wenn Dave seinem greisen Zukunfts-Ich begegnet - konstruieren, um auch Sätze wie diese vollkommen logisch erscheinen zu lassen: "Ich weiß, dass du hier bist, weil ich, als ich in deinem Alter war, sah, wie ich in meinem Alter dir in deinem Alter gesagt habe, was ich dir jetzt sagen werde. Und du musst das natürlich auch dir erzählen, wenn du ich bist." (Zusatz von Rimmer: "Dem Himmel sei Dank. Sie sind offenbar geistig immer noch genauso in Schuss wie heute.") - Witz, Klamauk und einige echte Brüller - "Roter Zwerg" bietet all das, was man von Büchern dieser Art erwartet. Und gäbe es mehr als nur vier Romane (die ebenfalls auf Deutsch erscheinen sollen), hätte der Verlag damit eine potenzielle Goldgrube aufgetan.
In der nächsten Rundschau gibt's dann noch knapp vor dem großen W
(wie in: Warteschlangen und Wahnsinnsszenen) ein paar letzte Kauf- und
Schenktipps für heuer. Für alle, die selbstmörderisch genug sind, zu
der Zeit eine Buchhandlung zu betreten. (Josefson)