Cover: teNeues V

Eine gemeinhin relativ unbekannte Theorie Albert Einsteins besagt, dass "Tänzer die Athleten der Götter" seien. Die Überprüfung dieser These kann anhand zweier famoser bibliophiler Beweisstücke durchgeführt werden:

Schmerzlich bewusst wird einem, einmal mehr, welche Chance Wien sträflicherweise verpasst hat, als nach Renato Zanellas Zeit an der Staatsoper Vladimir Malakhov weder als Tänzer noch als Choreograf oder Chef der Compagnie de Ballet verpflichtet wurde, sondern freies Geleit nach Berlin bekam. Der Fotograf Dieter Blum zeichnet in seiner Monografie sensibel die virtuosen wie artifiziellen Metamorphosen des 1968 in Kriwoj Rog, in der ehemaligen Sowjetunion, geborenen Tänzers nach. Anhand der Stationen Moskau, Stuttgart, Wien, Tokio, New York und Berlin präsentieren die Fotografien die künstlerische Entwicklung des technisch brillanten Tänzers und ausdrucksstarken Choreografen. Fantastisch Malakhovs Eleganz, Anmut, Intensität, Geschmeidigkeit und die scheinbar bei seinen Sprüngen außer Kraft gesetzte Schwerkraft. Basierend auf einer visionären Gratwanderung, versucht er traditionell Überliefertes den Zeitläufen anzupassen. Bemerkenswert auch die Intimität und Nähe, das Vertrauen, das Malakhov und sein Ensemble zu Blum gefasst haben, sich und ihre expressive Kunst weitgehend nackt zu präsentieren.

Wie Vladimir Malakhov bezieht sich auch der 34-jährige Roberto Bolle künstlerisch auf Rudolf Nurejew. 1990 war er in der Mailänder Scala beim Vortanzen in der Ballettschule von Nurejew für die Rolle des Tadzio in Tod in Venedig erwählt worden. Die Virtuosität und Virilität, die Anmut und Eleganz des Tänzers auf und jenseits der Bühne hat der Grandseigneur der Fotografie Bruce Weber in Roberto Bolle. An Athlete in Tights grandios eingefangen. Die Symbiose durchtrainierter, athletischer Körper mit lyrischer Ausdrucksstärke und poetischer Melodramatik stellt hier eine seltene Einheit dar. In Bezug zu antiken Statuen, Skulpturen und Torsi gleicht der athletische Körper Bolles den klassischen ästhetischen Idealen.

Selten wurde die Bewegung des Tanzes, die theatralische Dramatik nonverbaler Kunst so virtuos, so famos, so schön und gelungen dokumentiert. Bezug nehmend auf die eingangs erwähnte These Einsteins, bleibt nur zu konstatieren: göttlich. (Gregor Auenhammer, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 02./03.01.2010)