Das Wirtschaften dem Staat überlassen? Klimaschutz vertagen? Terrorbekämpfung einstellen?

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Entscheidungsträger sind derzeit harten Prüfungen ausgesetzt: Wir leben in einer Ära der Unberechenbarkeit. Die Welt scheint sich in ständigem Fluss zu befinden. Die Herausforderungen sind immens. Und was die Sache noch schwieriger macht: In vielen Fällen stehen kurzfristig richtige politische Strategien im Widerspruch zu den langfristig richtigen.

Was die Ökonomie, die Klimadebatte und die Frage der Sicherheit betrifft, wird jeweils fast nur in eine Richtung akut Druck gemacht: Stärkung der Rolle des Staates gegenüber jener der Wirtschaft; Verschiebung des Klimaabkommens auf finanziell freundlichere Zeiten und Beendigung des beträchtlichen militärischen Engagements zur Bekämpfung des globalen Terrorismus. Die richtige langfristige Politik weist aber in jedem dieser Fälle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in die entgegengesetzte Richtung.

Wie können wir diese Kluft zwischen kurz- und langfristiger Politik überbrücken? Die Entscheidung, wie wir dabei vorgehen, heißt zugleich, sich grundsätzlich darüber klarzuwerden, woran wir glauben und was wir von unserer Zukunft wollen. Beim Wie kann uns dabei nur der Kopf leiten, aber das Herz muss uns sagen, woran sich unser Handeln orientiert.

In der Wirtschaft lautete die gängige Meinung nach dem Bankencrash, dass der Markt versagt habe und der Staat eingreifen müsse. Alte Ausgaben von J. Kenneth Galbraiths Der große Crash 1929 und keynesianische Traktate wurden entstaubt und begierig wieder gelesen. Und es stimmt: Der Markt hatte versagt, und der Staat musste eingreifen - nicht zuletzt, um eine Ausbreitung der Krise und weitere Zusammenbrüche zu verhindern.

Doch wenn wir einen Schritt weiter denken und analysieren, welche Art von Erholung möglich und welche Art des Wirtschaftens in Zukunft wünschenswert wäre, ist es keineswegs klar, dass wir dafür einen stärkeren Staat brauchen. Im Gegenteil, der Privatsektor muss seinen Sinn für Unternehmertum, Innovation und Vitalität wiedergewinnen; wir müssen uns vor einer Regulierung hüten, die die Verfügbarkeit von Krediten einschränkt, und wir sollten jeglichen Protektionismus vermeiden.

Umstrukturierungen sind sicher nötig, doch am Ende wird wohl die Wirtschaft und nicht der Staat dafür sorgen, dass es wieder aufwärtsgeht. Mit anderen Worten: Die Behauptung "Der Markt hat versagt" ist eine schreckliche Verallgemeinerung. Tatsächlich hat ein Teil des Marktes versagt, und Staat und Aufsichtsbehörden waren Teil dieses Versagens. Und wenn wir überzeugt sind, dass es so ist, müssen wir in den kommenden Wochen und Monaten Entscheidungen treffen, die dem Privatsektor helfen, statt ihm zu schaden.

Ähnliches gilt auch für Umwelt und Energie: Wenn wir glauben, dass sich das Weltklima wahrscheinlich infolge menschlicher Aktivitäten verändert, müssen wir ungeachtet der damit verbundenen finanziellen Lasten die Weltwirtschaft auf einen CO2-armen Kurs bringen. Das bedeutet keinen Freibrief für unrealistische Vorschläge bei den Nachverhandlungen zum Kioto-Protokoll; und wir sollten das Beste nicht zum Feind des Guten machen: Es gibt wichtige Dinge, die wir auf Basis unseres jetzigen Wissens - über Abholzung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien - tun und die im Laufe des nächsten Jahrzehnts viel bewirken können. Wir benötigen auch eine langfristige Anreizstruktur für neue Technologien. Der entscheidende Punkt aber ist: Wir müssen sofort handeln. Die ernsthaften Bemühungen Chinas, Brasiliens und anderer aufstrebender Märkte, am Kampf gegen den Klimawandel mitzuwirken, stellen eine große Chance dar, die man nützen sollte. Und was den Westen angeht, brauchen wir uns nur an die Tage zu erinnern, als das Barrel Öl 100 US-Dollar kostete. Die CO2-Abhängigkeit unserer Wirtschaft zu reduzieren ist also auch aus Gründen der Versorgungssicherheit ein Gebot der Stunde.

Die Entscheidungen in Sicherheitsfragen sind vielleicht die schwersten von allen. Die Öffentlichkeit, die verständlicherweise durch die Länge der aktuellen Militäreinsätze und den Verlust von Menschenleben in Afghanistan und im Irak entmutigt ist, steht der Idee eines Truppenabzugs positiv gegenüber. Aber gerade in diesem Punkt müssen wir entscheiden, woran wir wirklich glauben.

Dass es etwa in Afghanistan derzeit so schlecht läuft, ist den Kräften geschuldet, denen wir gegenüberstehen - ihren Terrorakten, der brutalen Einschüchterung der Zivilbevölkerung und der Missachtung des deklarierten Willens der internationalen Gemeinschaft. Dabei wird immer wieder deutlich, was die Menschen wirklich wollen, wenn sie die Wahl hätten: rechenschaftspflichtige Regierungen, Rechtsstaatlichkeit und Selbstbestimmung. Die Terroristen wollen das Gegenteil. Unser Engagement jetzt zu beenden wäre daher keine "Befreiung" für die Menschen, sondern würde sie der Gewalt von Gruppen ausliefern, deren Extremismus genau die Lebensweise bedroht, für die wir stehen und die die große Mehrheit der Bevölkerung anstrebt. Wir sollten uns daher, wie schwierig die Lage auch ist, daran erinnern, woran wir glauben und warum wir es tun.

Jetzt ist also trotz aller Ungewissheit der Moment für eine gewisse Klarheit gekommen, und eine solche stellt sich am besten auf der Grundlage einer ausgearbeiteten Strategie ein, die ihrerseits auf starken Überzeugungen beruht. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.1.2010)