Die symbolträchtigste Szene unserer Zeit wird im Spiegel beschrieben. Da sitzen die Führer der Welt beim Klimagipfel zusammen und kommen auf keine klare CO2-Begrenzung, weil China nicht will. Die Chinesen schicken in die Runde der Staats-und Regierungschefs eine Vizeminister - Premier Wen Jiabao ist zwar in Kopenhagen, geht aber nicht in die Sitzungen. Bis Barack Obama die Geduld reißt und er in den Raum eindringt, wo Wen mit Brasiliens Lula und noch ein paar Umweltverschmutzern aus der Dritten Welt zusammensitzt. "Sind Sie jetzt bereit zu reden?", bricht der Frust aus dem angeblich mächtigsten Mann der Welt heraus. Reden, natürlich - aber keine konkreten Beschlüsse.

Sie wollen auch ihre Chance auf schmutzige Industrialisierung haben - und von einem Großverschmutzer wie den USA lassen sie sich schon gar nichts sagen.

Auch - oder gerade - unter Obama nicht. Chinas Slogan lautet "friedlicher Aufstieg", aber das bedeutet nicht, dass das neue, selbstbewusste China nicht Rechnungen zu begleichen hätte. Man muss in Gesprächen mit Chinesen nicht tief bohren, um bald auf die Grundhaltung zu stoßen: "Lange habt ihr uns gedemütigt, jetzt sind wir dran." Die Finanzkrise ist letztlich eine Folge der Entindustrialisierung der USA durch Abwanderung traditioneller Produktionen nach Asien, hauptsächlich China. Die früher in Detroit und Cleveland angesiedelten Arbeitsplätze befinden sich jetzt in den chinesischen Küstenregionen. Vor allem deshalb verlegte sich ein Großteil der amerikanischen Wirtschaft auf Finanzgeschäfte (rund 41 Prozent der Gewinne stammen daher). Die Realwirtschaft wurde, um den Wohlstand aufrecht zu erhalten, durch eine aufgeblähte Finanzwirtschaft ersetzt. Eine Blase war das zwangsläufige Ergebnis.

Chinas Modell der autoritären Marktwirtschaft kann trotzdem nur begrenzt erfolgreich sein. Technologische Entwicklung braucht letztlich freies Denken. Deshalb führen die USA und die industrialisierten Demokratien immer noch in der Hochtechnologie und werden es auch weiter tun. Aber das ändert nichts an der enormen Arbeitslosigkeit, die Obama bisher noch nicht angegangen ist.

Die USA haben sich in eine Reihe ungewinnbarer Kriege in der islamischen Welt verstrickt. Ihre industrielle Basis erodiert, sie stünden vor dem Staatsbankrott, würde China aufhören, mit seinen Exporterlösen US-Anleihen zu kaufen. Das ist die Situation, in der ein chinesischer Apparatschik wie Wen Jiabao den Hoffnungsträger der Welt, Barack Obama, bewusst anrennen lässt.

China wird die USA trotzdem nicht so bald als führende Supermacht ablösen, wenn überhaupt. Dafür ist das chinesische Gesellschaftssystem zu starr, zu unattraktiv für andere, zu provinziell. China wird auf die Eliten der Welt niemals eine solche Zugkraft ausüben wie - bei allem Antiamerikanismus - die USA.

Nur: die USA können ihren Willen in der Welt weniger und weniger durchsetzen; und das wird auch mit einem neuen selbstbewussten China zusammenhängen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.10.2010)z