"Er kam, aber er hat fast nichts gesagt": Gert Jonke.

Foto: Andy Urban

Peter M. Schusters Physiker-Poeme schlagen seit dem Pen-World-Kongress in Kremsmünster Wellen bis nach Frankreich und Belgien. Das Concrete Chamber Orchestra, das sich zur Live-Performance von Christian Zillners Werk escapism in einem Wiener Gürtelkeller zusammenfand, tourte soeben erfolgreich durch Japan. Und in Klagenfurt realisiert Wolfgang Walkensteiner eine ursprünglich als Gemeinschaftsarbeit mit Gert Jonke geplante Installation als Hommage an den verstorbenen Dichter.

Selten hat es so viele spannende Projekte an den Schnittstellen von Literatur, Kunst, Musik und Theater gegeben wie heute. Die Wiener Literaturhäuser verschlafen den Trend. Mittlerweile zeigen ihnen Veranstalter in der österreichischen Provinz, wo der Bartl den Most holt. Während in Klagenfurts Kulturamt noch heftig an der Präsentation eines Gert-Jonke-Literaturpreises gewerkelt wird, ist es dem Leiter des Robert-Musil-Literatur-Museums, Heimo Strempfl, gelungen, den 60-jährigen Wahlwiener Walkensteiner zur Fortsetzung von Jonkes Literatur mit künstlerischen Mitteln zu bewegen.

Der Weiler-Schüler und Biennaleteilnehmer von 1976 installierte im Museum seine Arbeit Der ferne Klang in Form von neun Bildtafeln. Sie zeigen ins Riesenhafte gesteigerte Eier und drei stilisierte Ohrlöcher. Der im Alter von 62 Jahren verstorbene Jonke kann sich ja posthum nicht mehr gegen die Etiketten, ein "genialer Sprachartist" oder ein "unvergleichlicher Wortgigant" gewesen zu sein, wehren. Nur seine Freunde und Kenner vermögen das Bild des ungewöhnlichen Autors ein Jahr nach dem Tod noch einmal zurechtzurücken.

"Gerts Sprache ist mir in ihrer Opulenz ohnehin geläufig. Also habe ich versucht, seine Empfindsamkeit noch einmal mit Bildern anzufüllen. Mit der Ei-Form beschäftige ich mich seit fünf Jahren immer wieder; ich delektiere mich daran, denn am Ei lassen sich gewisse malerische Fertigkeit abarbeiten. Ich kann ein ordentliches Ei an einem Tag malen."

Jonke und Walkensteiner: das waren zwei hellwache Generationskollegen, die sich in ihrer Jugend in der legendären Brandweinstube im Klagenfurter Lendhafen mit H. C. Artmann herumtrieben (Jonke nannte sich anfangs voller Bewunderung "G. F." für Gert Friedrich), wobei ein ins Lendwasser segelndes Polizeikapperl für den Topskandal sorgte. Jonke und Walkensteiner: Das waren zwei, die dann rechtzeitig dem "Wörtasä" -Gerempel nach Wien entflohen; die größten Wert auf handwerkliches Können legten, und bei denen Humor und Sarkasmus eine fast manische Rolle spielten.

Walkensteiner sitzt der Schalk noch immer im Nacken. Er hat den generationstypischen Umweg über französische Philosophielektüren zu Heidegger genommen: "Heidegger hat die Sprache einmal als das Haus des Seins bezeichnet" , erklärt der Maler, "und zugleich immer wieder darauf hingewiesen, dass man seine Begriffe auf keinen Fall bildlich denken darf. Wie bitte soll ich einen, der dauernd über den Abgrund redet, ohne Bilder denken? Ich habe vor fünf Jahren das philosophische Bilderverbot bewusst und lustvoll durchbrochen. Für mich ist das Haus des Seins, also das Werden von zukünftigem Leben, seither das Ei."

Damit schließt die Hommage konzeptuell an Das Gestell von 2007 an. "Jonke war ja in seinen besten Möglichkeiten ein Dichter. Wenn ich an ihn denke" , so Walkensteiner, "imaginiere ich automatisch seine Ohren ... diese riesigen Flügel, die ich wirklich bewundert habe. Darum zeige ich hier das Ei als Haus des Seins, und das Ohr, das in die Sprache hineinlauscht und möglichst Ungesagtes verarbeitet. Genau genommen ist es das Loch in der Ohrmuschel, das beim Menschen unterschiedlicher nicht sein kann. Und dass ich mit dem dritten Ohr auf ein drittes, auf ein zur Wahrnehmung des Übersinnlichen fähiges Auge anspiele, das stammt nicht aus der Esoterik."

In der Tat variiert Jonkes Prosa unablässig fließende Satzungetüme und klare Wortschluchten mit überragendem musikalischem Gespür. Seine Mutter, Hedi Jonke, war Pianistin. Der Schriftsteller, der mit seinem Erstling Geometrischer Heimatroman schlagartig bekannt wurde und der den ersten Bachmann-Preis gewann, sammelte zeitlebens wie besessen Einspielungen der entlegensten E-Musiken. Jonke verkehrte mit Schostakowitsch und Sorabji so intim wie der Wiener mit dem Zentralfriedhof. Ein energischer Klangfluss begleitete seinen Weg zu zwanzig Literaturpreisen, darunter die begehrtesten im deutschen Sprachraum: Wildgans-Preis, Fried-Preis, Kafka-Preis, Schnitzler-Preis.

Jonke war sicher ein absolut emphatischer Schreiber, zugleich als Privatmann unfähig zum bürgerlichen Leben, mitunter selbst dazu, den Müllsack nach unten zu tragen. In den Millenniumsjahren entsprach der von Krankheit und Alkohol gezeichnete Dichter - als stotternde Erscheinung des Wiener Kulturlebens - ganz dem romantischen Ideal des sich in seiner Arbeit verzehrenden Genies.

"Jonke hat sich seine Schwierigkeiten nicht selbst ausgesucht", erinnert sich Walkensteiner. "Er wurde zu einem Tragiker wie Van Gogh, der die Welt nicht ertrug und auf das Verständnis seiner Außergewöhnlichkeit setzte." Der Kollege habe aber keineswegs nur aus sich selbst geschöpft, sondern auch aus dem Studium von Herbarien und den Schriften der Antike. Bei aller Randständigkeit sei er ein immens fleißiger Arbeiter geblieben, der hundertprozentig in seinem Schaffen aufging.

Walkensteiner hat sich nach abstrakt-lyrischen Anfängen zunächst der Körperlichkeit des Menschen zugewandt. Seit einem Atelierbrand 2004, der die Arbeit von zwei Jahren zunichte machte, entwickelt sich der Künstler mit seiner Malweise zu einem echten Solitär in der österreichischen Kunstszene. Walkensteiner arbeitet heute nach Lehmmodellen, die zunächst feucht und glitschig in seinen Händen entstehen. "Der Batzen folgt dem Druck meiner Finger, sie hüten und beschützen ihn, verhindern das Entgleiten des klebrigen Urstoffes." Die Kleinheit und Intimität dieses Objekts, das Sammler gern zu den Bildern dazu erwerben, erlaubt dem Maler ein Überschauen räumlicher Verhältnisse en miniature. "Davor kommt noch der sanfte Druck, das zärtliche Verschmieren, das Eindringen eines Fingers in das Loch - alles in der Dauer einiger Atemzüge."

An der Miniplastik sucht Walkensteiner den Punkt, der ihn anspricht, schaut sich die Schatten- und Lichtgebung an. Darauf folgt die Wahl der erlesensten Farben in altmeisterlicher Technik: das Anthrazit der Geigen, das Farngrün der Bratschen, die Moosgrün-Celli, Fleischrot - wobei sich Walkensteiner nicht davon abbringen lässt, sie alle seien aus der Dichte einer Schwärze als "manische Masse" an die Oberfläche getreten. Er denkt, im Inneren der Schlagschatten seiner Klüppchen herrsche vollkommene Nacht.

"Bacon hat das Gelingen des Bildes mit dem Zufall in Verbindung gemacht. Ich sage, im Prozess des Hermalens findet eine Seinsberührung statt, weil es eine Art Ausstieg aus der Zeitlichkeit bedeutet. Heidegger hat sich geweigert, das Leben in das Zentrum des Nachdenkens zu stellen; das wäre für ihn der Gipfel der Metaphysik gewesen. Aber er bietet eine Innerlichkeit an, die ich beim Übertragen der Formen mit dem Pinsel erlebe."

Gert Jonkes Existenz, betont Walkensteiner nicht nur einmal, sei in Wahrheit alles andere als erheiternd gewesen; erst in den letzten zehn Jahren habe er finanziell einigermaßen gesichert leben können. "Die Kommunikation blieb trotzdem schrecklich mit ihm; er kam, aber er hat fast nichts gesagt."

Walkensteiner hat für sein Projekt "G wie Jonke" selbst ein paar Zeilen verfasst, wollte kleine Satzgebilde bei der Arbeit in sich aufgenommen wissen. Auch Schreiben sei eine Sache des Sich-konzentrieren-Könnens, der Sammlung. Das habe nur Jonke geschafft. "Oui, Monsieur", ruft ihm der Maler respektvoll nach: "Du bist der Dichter!" (Wolfgang Koch, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 02./03.01.2010)