Helsinki/Stockholm - Sechs Menschenleben forderte der Amoklauf im finnischen Espoo am letzten Tag des Jahres. Was selbst Staatspräsidentin Tarja Halonen in einem Interview vor ihrer Neujahrsansprache beschäftigte: "Es ist traurig und abscheuerregend, dass so etwas wieder passiert - und etwas dagegen zu tun ist eine Herausforderung", sagte sie deutlich mitgenommen.

Wenige Stunden zuvor war der 43-jährige Ibrahim S. mit seiner Waffe in das volle Einkaufszentrum in Espoo marschiert. Er hatte eigentlich Hausverbot und kam gerade aus der Wohnung seiner Exlebenspartnerin, die er dort erschossen hatte. An ihrem Arbeitsplatz richtete er innerhalb von nur sechs Minuten vier Angestellte des Ladens hin. Der seit 20 Jahren in Finnland lebende Kosovo-Albaner verließ danach völlig ungehindert den Tatort, fuhr in die eigene Wohnung und erschoss sich. Mögliches Motiv könnte die krankhafte Eifersucht des Mannes gewesen sein. Ein Gericht hatte dem Mann verboten, sich seiner früheren Freundin zu nähern.

Während nach den beiden von jungen Finnen begangenen Amokläufen an Schulen im September 2008 (elf Tote) und Ende 2007 (neun Tote) vor allem die lockeren Waffengesetze im traditionellen Jagdland Finnland kritisiert wurden, steht am Neujahrstag die ausländische Herkunft des Täters im Zentrum. Der überraschend breit gestreute Ausländerhass entlud sich im Internet und Diskussionen. "Die Einwanderungspolitik ist eine Katastrophe!", "Schickt die alle heim!", "Wir brauchen die Todesstrafe!" waren einige der Kommentare.

Selbst Politiker reagierten unbeholfen auf die nun so offen ausgetragene Ausländerfrage. Statt deutlicher Abstand zu nehmen, sagte etwa Innenministerin Anne Holmlund lediglich, sie wolle nicht jetzt schon Schlüsse aus der ethnischen Herkunft des Täters ziehen. "Das ist eine Frage die wir prüfen müssen, ohne Hetzstimmung, wenn die akute Krise vorüber ist", sagte sie im Rundfunk. Das lockere Waffengesetz spielt diesmal keine Rolle: Im Unterschied zu den jugendlichen Amokläufern hatte der 43-Jährige keine Lizenz für seine Pistole. (André Anwar, DER STANDARD Printausgabe, 02./03.01.2010)