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Umfragen unter den europäischen BürgerInnen stellen deren Wissen und Identifikation über die EU regelmäßig verheerend schlechte Zeugnisse aus. Die EU ist zu distanziert, zu undemokratisch, zu bürgerfern. Was macht uns eigentlich zu EuropäerInnen? Gibt es zu dem politischen Konstrukt der letzten 50 Jahre so etwas wie ein gemeinsames Lebensgefühl, das uns alle miteinander verbindet, eine europäische Identität? Und vor allem: brauchen wir so etwas überhaupt?

Johannes Waldmüller beschäftigte sich mit diesen großen Fragen in seiner Diplomarbeit in Philosophie und Internationale Entwicklung und anhand seiner Erfahrung im ersten BürgerInnenforum 2006/07.

Die europäische Identität - eine brauchbare Utopie?

Eine gemeinsame europäische kulturelle Identität wird von den Einen ersehnt und von den Anderen als Bedrohung dargestellt oder als gänzlich unmöglich abgetan. Wozu aber ist solch eine "Einheit spendende Größe" überhaupt dienlich? Dafür gibt es laut Waldmüller ganz praktische politische Gründe: Nicht nur für ein gemeinsames Vorgehen bei der Reformierung des maroden Agrarsystems wäre das Gefühl von Gemeinsamkeit hilfreich, gerade auch für die Diskussion von Osterweiterung und Sicherheitspolitik spielt Zugehörigkeit eine entscheidende Rolle. Wie sollen über solche Dinge entschieden werden, "solange wir nicht wissen, was die EU oder Europa ist"? Zu guter Letzt wird die EU auch nur dann handlungsfähig, wenn ihre BürgerInnen mit ihrer Grundausrichtung einverstanden sind.

Identität transportieren

Nach dem Scheitern der des Vertrags von Lissabon im Frühjahr 2008 schien die bürgerliche Identifikation mit der EU an einem vorläufigen Tiefpunkt angekommen zu sein. Das veranlasste die Europäische Kommission ihren Plan D in Sachen Kommunikationsstrategie umzusetzen: Das aktive Transportieren und Kommunizieren von europäischer Identität unter anderem über sogenannte Europäische Bürgerkonferenzen. Bei diesen Konferenzen, an denen Waldmüller selbst als zufällig ausgewählter österreichischer Repräsentant teilgenommen hat, werden aktuelle politische Themen mit BürgerInnen in Europa beratschlagt.

Mehr Bürgerbeteiligung schafft Identität

Obwohl diese Initiative von den Medien wenig beachtet wurde, wird die Idee eines institutionalisierten BürgerInnenforums als permanente vierte Säule der EU von Waldmüller euphorisch beurteilt. Er plädiert dafür, dass nur durch Dialog und Teilnahme der BürgerInnen an der EU eine europäische Gemeinsamkeit geschaffen wird. Eine europäische Identität müsse also auf der Bearbeitung politischer Themen durch BürgerInnen basieren.
Demgemäß müsse die EU ihre BürgerInnen also beratend hinzuziehen, um so Gemeinsamkeit herzustellen, statt sich auf den Begriff einer kulturellen Identität versteifen.

Partizipation ist die Lösung?

Zur Lektüre empfehlen kann man Waldmüllers 300-seitige Ausführungen unter Europas BürgerInnen standfesten PhilosophInnen oder denen, die es noch werden wollen. Die eklektischen und anspruchsvollen Ausflüge in verschiedene Denktraditionen lassen sich jedoch nur schwer als theoretischer Hut über die Praxis stülpen und das Fazit "Mitmachen macht zufrieden" so nicht zu. So anmutig die Idee nach mehr partizipativen Elementen in der EU auch ist, so sehr scheint sich Waldmüllers Euphorie für das BürgerInnenforum auch aus seiner eigenen Teilnahme daran zu speisen. Dabei übersieht er, dass Demokratiedefizit und Bürgerferne nicht die einzigen Gründe für die Ablehnung der EU sind. Da die Forumsbeschlüsse keinerlei bindende Kraft besitzen scheint damit noch keine adäquate Lösung gefunden zu sein. Mit Sicherheit ist dazu aber das letzte Wort noch nicht gesagt, auch von Johannes Waldmüller nicht, der sich dem Thema im Rahmen seines Doktorats weiterhin widmet.

Die Diplomarbeit "Europa auf der Suche nach seiner Identität? Die European Citizens' Consultations", Partizipation in politischer und kultureller Theorie, sowie deren Implikation für die europäische Entwicklungszusammenarbeit" ist auf textfeld.ac.at im Volltext nachzulesen und online bei Amazon.de als Buch zu bestellen.