Wien - Zu viel Selektion und gleichzeitig zu wenig individuelle Förderung und Berufsberatung - das sind die gröbsten Mängel im österreichischen Schulsystem, aufgrund derer jedes Jahr fast 10.000 Jugendliche aus dem Bildungssystem fallen. So heißt es in einem im Auftrag des Unterrichtsministeriums erstellten Bericht des Instituts für Höhere Studien (IHS), der als Grundlage für eine Strategie zur Verringerung der Zahl früher Schulabgänger dienen soll. Insgesamt liegt die Quote an 18- bis 24-Jährigen, die maximal die Pflichtschule abgeschlossen haben ("Dropouts"), bei 9,6 Prozent (2006).

Laut Studienautor Mario Steiner ist etwa Sitzenbleiben ein Faktor im Bildungssystem, der das Selbstvertrauen untergräbt und damit Abbruch fördert. Frühe Selektion nach der Volksschule führt zwar nicht direkt zu mehr Dropouts, aber sie verstärkt die soziale Ungleichheit. Dabei sind Jugendliche mit nachteiligem sozioökonomischem Hintergrund ohnehin stärker gefährdet, zu Schulabbrechern zu werden. Auch Leistungs- und Konkurrenzdenken in der Erstausbildung, "das Stress bei Kindern und Jugendlichen verursacht", sollte laut der Studie hinterfragt werden. Der Mangel an Lehrstellen ist laut Steiner ein weiterer Mitgrund für Schulabbruch.

Steiner: "Partnerschaftliche Beziehung" zwischen Schüler und Lehrer notwendig

Steiner plädiert dafür, die "partnerschaftliche Beziehung" von Schülern und Lehrern zu verstärken und alternative Ausbildungsmodelle und Lernformen auch an öffentlichen Schulen auszubauen. Außerdem sollten die Lerninhalte überprüft und Schulfächer mit praktischem Sinn aufgewertet werden. Möglich sei all das allerdings nur, wenn Lehrer eine dementsprechende Ausbildung mit Schwerpunkt auf sozialen Kompetenzen sowie professionelle Unterstützung durch Sozialarbeiter erhalten.

Eine zentrale Rolle spielt laut Studie auch die Verbesserung der Berufsorientierung, denn die Entscheidung für eine unpassende Ausbildung begünstige den Bildungsabbruch und zu geringer Informationsstand über andere Möglichkeiten die Tendenz, die Ausbildung nicht nur zu wechseln, sondern überhaupt abzubrechen. Steiner fordert die Einführung eines eigenen Fachs Berufsorientierung durch eigens ausgebildete Trainer.

Dropout-Meldesystem

Um Schulabbrecher möglichst rasch wieder ins Bildungssystem zurückzuholen, soll ein Dropout-Meldesystem geschaffen werden, in dessen Rahmen Jugendliche sofort nach Meldung des Schulabgangs von individuellen Betreuern aufgesucht werden, die mit ihnen nach Alternativen suchen. Derzeit wird in Österreich nicht einmal dokumentiert, wie viele Jugendliche das Schulsystem ohne Abschluss verlassen.

Für Schüler, die bereits aus dem Bildungssystem ausgestiegen sind, sollen unbürokratischere Rückkehrmöglichkeiten geschaffen werden. So sollen etwa auch informell erworbene Kompetenzen (bei ehrenamtlicher Arbeit, Praktika etc.) leichter anerkannt und Möglichkeiten geschaffen werden, die Schulpflicht außerhalb der Schule (z.B. in Jugendwerkstätten) zu erfüllen. Über Fernunterricht könnte man Schulverweigerer besser erreichen.

In der AHS-Oberstufe bricht gut jeder Zehnte (10,8 Prozent) vom ersten auf das zweite Jahr ab, an den Handelsakademien (HAK) 15 Prozent, an den Höheren Technischen Lehranstalten (HTL) 19,5 Prozent und an den Handelsschulen (HAS) 34 Prozent. Diese hohen Anteile werden als Indiz dafür gewertet, dass Schüler versuchen, die einjährige Polytechnische Schule zu umgehen. Ähnlich sieht es bei den Lehrverhältnissen aus, wo 30,3 Prozent innerhalb des ersten Jahres mit der Ausbildung aufgehört haben. Mangels Daten kann aber nicht gesagt werden, wie viele der Jugendlichen nicht nur die Ausbildung wechseln, sondern tatsächlich aus den System fallen. Die Studienautoren gehen allerdings davon aus, dass "ein nicht unbeträchtlicher Anteil" zu Dropouts wird. (APA)