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Blick auf den Westen aus islamischer Perspektive: Zwei Frauen im Teheraner Museum für moderne Kunst vor einem Bild von Roy Lichtenstein: "Die Melodie verfolgt mich in meinen Träumen ..."

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Gründete den Zentralrat der Ex-Muslime in Deutschland: Mina Ahadi.

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Folgt am 26. Februar dem deutschen Vorbild: Cahit Kaya.

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Sie fordern das Recht, nicht glauben zu müssen: Österreichs "Ex-Muslime" gehen an die Öffentlichkeit. 

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Der Zufall der Geburt dürfe für die Identität eines Menschen nicht alleinbestimmend sein, meint Cahit Kaya. Vielmehr - so der 30-jährige Wiener Politikwissenschaftsstudent mit türkisch-kurdischen Wurzeln - "muss es mir als Muslim möglich sein, aus meiner Religionsgemeinschaft, der ich als Kind muslimischer Eltern sozusagen automatisch angehöre, auszutreten. Egal, ob und woran ich glaube".

Kaya fordert das Recht, ein Ex-Muslim zu sein: eine Person, die sich "den Zielen der Aufklärung und des Humanismus verpflichtet fühlt und daher für Selbstkritik im Islam eintritt - ohne gleich der Apostasie, des Abfalls vom Glauben, bezichtigt zu werden". Heute, Freitag, wird Kaya mit Mitstreitern wie der Islamkritikerin und Feministin Mina Ahadi (53) bei einer Pressekonferenz und anschließenden Diskussion die Gründung des Zentralrats der Ex-Muslime in Österreich bekanntgeben.

Ahadi, die in Köln der deutschen Mutterorganisation der Ex-Muslime vorsteht, sieht auch in Österreich "große Notwendigkeit dafür". In der Schweiz und mehreren skandinavischen Ländern gibt es die muslimisch-säkularen Gruppen schon seit längerem. In Österreich, so Ahadi, versuche die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) "seit Jahren, mit einer milden Interpretation des Islam und mit breitem Lächeln der Diskussion über wichtige und zentrale Fragen zu entgehen".

Fragen, die da seien: "Wie steht es um die Frauenrechte, was wird gegen Zwangsehen und Ehrenmorde, gegen das Kopftuchtragegebot für Frauen unternommen? Was, um die Entstehung von Parallelgesellschaften und die Verbreitung islamisch-fundamentalistischer Ideen zu verhindern?"

Gegen Fundis, gegen rechts 

Für wen diese Kritik nach Heinz-Christian Strache klingt, dem hält Ahadi entgegen: "Es gibt diese Probleme aber wirklich." Fange man nicht auch in Österreich mit dem "darüber reden und es kritisieren" an, würden "die Fundamentalisten auf der einen und die Rechtsextremen auf der anderen Seite gestärkt".

Denn viele junge Muslime seien hin- und hergerissen, ergänzt Kaya: "Daheim bekommen sie vermittelt, dass der Islam die Herrenreligion ist und dass seine Werte mit einer liberalen Gesellschaft nicht kompatibel sind. Doch das ist die Gesellschaft, in der sie selber leben. Also sind viele schwer irritiert - im Endeffekt wenden sie sich dem Islam zu", schildert er.

Einem Islam, der laut Kaya "derzeit von fundamentalistischen Strömungen bestimmt wird" - zunehmend auch in Österreich. Schuld sei teilweise die Politik von Ministerpräsident Recep Erdogan und seiner AKP in der Türkei. Über Geschäftsleute käme ein konservatives bis radikales Islamverständnis auch nach Österreich. Heimische Muslime müssten sich entscheiden: Mache ich mit solchen Leuten Geschäfte oder nicht? Wenn ja, steige die Akzeptanz gegenüber dem radikalen Islam.

Ex-Muslime leben mitunter gefährlich. Nach der Gründung ihrer deutschen Organisation stand Ahadi sechs Monate unter Polizeischutz. Kaya und seine rund 15 Vereinsmitgründer aus bosnischen, türkischen und iranischen Einwandererfamilien sind trotzdem entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Ihre Ziele: "Aufklärung unter Muslimen, unter anderem darüber, dass Kopftuch und Minarette elitäre Zeichen des Islam sind. Dass es unter Muslimen einen starken, oft als Israelkritik bemäntelten Antisemitismus gibt", sagt Kaya. Als konkrete Maßnahme will er eine Art "Rat auf Draht für muslimische Jugendliche" starten. Nicht zuletzt geht es ihm auch um Kritik am "Alleinvertretungsanspruch" der IGGiÖ, die sich als einzige islamische Religionsgemeinschaft in Westeuropa auf eine mit anderen Religionen gleichberechtigte staatliche Anerkennung stützen kann.

Dort gibt man sich gelassen ob der Neugründung. "Kein Zwang im Glauben", zitiert Amina Baghajati, Sprecherin der IGGiÖ, den Koran. Religiöse Entscheidungen seien "Gewissensentscheidungen, für die wir nach dem Tod vor Gott einstehen müssen", sagt sie. Nur der Name "Ex-Muslime" sei seltsam. Das klinge, als wolle "jemand in der neuen Riege sogenannter Islamkritiker besonders prominent aufsteigen". Um aus dem Islam auszutreten, müsse nur ein Formular ausgefüllt und an die zuständige Behörde geschickt werden. Oft passiere das aber nicht: "Der Ordner mit derartigen Austrittserklärungen ist in der IGGiÖ sehr dünn." (Irene Brickner/Tobias Müller, DER STANDARD - Printausgabe, 26. Februar 2010)