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Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz ist Vorsitzender der "Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress".

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Das Wohlergehen und die Lebensqualität der Menschen, sowie das Florieren von Gesellschaften als Ganzes sind die wichtigsten Aspekte unseres Lebens und somit Auftrag an Politik und Wissenschaft. 

Unzufriedenheit und Angst

Aber trotz stabilen Friedens und stabiler Institutionen in den meisten OECD-Staaten und noch nie dagewesenen ökonomischen Leistungen hinsichtlich des BIP in den letzten 40 Jahren, fühlen sich viele Menschen trotzdem nicht länger wohlhabender oder bessergestellt, auch nicht in Hinblick auf materielle Aspekte. Es gibt immer größere Einigkeit entlang des politischen Spektrums, dass sich die modernen westlichen Gesellschaften am Rande einer so genannten "Sozialen Rezession" befinden. Es gibt Belege für steigende Raten von Angst und klinischer Depression, die Zusammenbrüche von Familien und Gemeinschaften, den Rückgang von Moral im Arbeitsleben sowie im öffentlichen Leben, Vertrauensverlust in der Gesellschaft und steigende politische Apathie.

Zusätzlich zu diesen sozialen Herausforderungen sind Gesellschaften heutzutage mit der sich rapide verändernden Umwelt konfrontiert, wovon der Klimawandel als prominentestes Beispiel zeugt. Wissenschaftler betonen, dass die Basis der natürlichen Ressourcen, die einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität unserer Gesellschaften leistet, vor der Gefahr von Ausbeutung und Kollaps steht (siehe z.B. auch Giljum et al., 2009: 2). Um globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Erschöpfung der Ressourcen, Armut, der Finanzkrise etc. entgegenzusteuern, werden neue Strategien für unsere zukünftige Entwicklung benötigt. 

Die Bedeutung von Messungen

Ansätze, die diese großen Herausforderungen bewältigen können, benötigen Aspekte von Operationalisierung. In der Wissenschaft ist Operationalisierung ein wichtiger Schritt, um theoretisch entwickelte Hypothesen in der Praxis zu testen und ein Schlüssel für ein besseres Verständnis von realen Verbindungen. In der Politik ist Operationalisierung essentiell um abstrakte Konzepte in wahrnehmbare und messbare Größen umzuwandeln. Messung ist zwar nur ein Aspekt von Operationalisierung, dafür aber ein extrem wichtiger! Ohne entsprechende Messungen wären beispielsweise der Ressourcenverbrauch, die CO2 Emissionen oder das Bevölkerungswachstum nicht zu managen. Erst anhand konkreter Zahlen wird (breiteres) Bewusstsein geschaffen (z.B.: ökologischer Fußabdruck) und werden konkrete Maßnahmen umsetz- und kontrollierbar (wie z.B.: Emissionsauflagen).

Auf der anderen Seite ist auch mit zu bedenken, dass wir uns mit Zahlen, Daten und deren Verknüpfungen ein Bild von der Welt machen, das ein Modell, aber nicht die Wirklichkeit ist. Indem wir Bestimmtes mit Daten illustrieren, ziehen wir von anderen Dingen das Licht ab. Vielleicht sind in manchen Fällen andere, nicht in Zahlen erfassbare Dinge viel wesentlicher. Beispielsweise funktioniert Erziehung durch Vorleben und hat nichts mit Messung zu tun. Die Versuche, den Erfolg von Schul- oder Bildungssystemen zu messen, sind eher mit Vorsicht zu betrachten.

Wenn wir das "Umweltverhalten" der Leute steuern wollen, so ist es besonders effizient, ihnen Möglichkeiten anzubieten: Sie werden den Müll nur trennen, wenn verschiedene Behälter für die unterschiedlichen Fraktionen zur Verfügung stehen, öffentliche Verkehrsmittel nur benützen, wenn es ein Angebot gibt, ... - unsere Informationen über die Entwicklung des Abfalls oder die Verkehrsemissionen helfen da wenig. Messungen alleine bewirken also noch wenig, und die Auswahl von Indikatoren ist ein Wertsetzungsprozess, dem entsprechende Beachtung gegeben werden muss.

Die Grenzen des BIPs als Wohlstands-Indikator

Im Bezug auf die ökonomische Leistung ist das Bruttoinlandsprodukt der am häufigsten verwendete Indikator. Es gibt seit langer Zeit Kritik am BIP, weil es oft als Wohlstandsmesser herangezogen wird, obwohl es lediglich ein Maß für die Größe von Volkswirtschaften darstellt. Die Überbewertung des Wachstums des Bruttoinlandsproduktes als politisches Ziel kann eine Gefahr für eine sozio- ökonomisch und ökologisch nachhaltige Entwicklung sein.

Es gibt viele Wohlstandskonzepte aus unterschiedlichen Disziplinen und Kulturen. Dabei herrscht Einigkeit darüber, dass Wohlstand zweifellos materielle Dimensionen besitzt, aber auch überaus wichtige soziale und psychologische. Deshalb sollte neben dem Bruttoinlandsprodukt-Konzept von Wohlstand auch über Alternativen nachgedacht werden, die mit nachhaltiger Entwicklung kompatibel sind, die sowohl in ökonomischen, als auch in anderen z.B. in religiösen oder psychologischen Bedingungen ausgedrückt werden und von der Mehrheit der Menschen akzeptiert werden können.

Einen Vorschlag für einen ganzheitlichen Wohlstandsbegriff bietet die Initiative zum "Monitoring nachhaltiger Entwicklung in Österreich" (MONE). Wohlstand wird hier als das Spannungsfeld zwischen den vier Werten "Güter" (inklusive z.B. Bildung, Kunst und Kultur), "Gesundheit", "Umwelt" und "Zeit" beschrieben.

In Monatsthema 02/10 auf Nachhaltigkeit.at werden aktuelle nationale und internationale Ansätze und Wege zur Messung von Wohlstand und Wachstum beleuchtet.