Dass die real existierenden politischen wie wirtschaftlichen Verhältnisse in der Ukraine mit ihren Seil- und Machenschaften Stoff für Schriftsteller bieten, beweist eine äußerst lebendige Literaturszene. Einer ihrer bekanntesten Vertreter ist Andrej Kurkow, der im Westen als "Cheferklärer" des Landes gilt. Geboren ist der 48-jährige Schriftsteller in der Nähe von Leningrad, aber bereits seit seinen frühen Kindertagen lebt er in Kiew. Dort absolvierte er das Fremdspracheninstitut, während des Militärdiensts war er Gefängniswärter in Odessa, später arbeitete er als Kameramann und Autor beim Film. Seit 1996 schlägt er sich als freier Schriftsteller durch.

Sein neues Buch Der Milchmann in der Nacht (Diogenes) schöpft wieder aus den unübersichtlich-chaotischen Zuständen im postsozialistischen Turbokapitalismus. Diesmal verschränkt der in Russisch schreibende Kurkow die Geschichte dreier Figuren. Um zu überleben, verkauft die junge Irina ihre Muttermilch, Flughafensicherheitsmann Dima ist im Nebenberuf Räuber, so kommt er an einen Koffer mit mysteriösen Ampullen, Schlafwandler Semjon arbeitet für einen Abgeordneten.

In der verschachtelten, hochkomischen, absurd-surrealen Geschichte geht es um obskure Fitnessmittel für die Politprominenz, plastinierte Ehemänner und eine Demokratie-Droge. Eine Gesellschaft am Rande des Wahnsinns, in der das Leben eine schwere Prüfung sein mag, davon zu erfahren aber für gute Unterhaltung sorgt. Einzige Österreich-Lesung des Autors! (dog, DER STANDARD/Printausgabe, 02.03.2010)