Die aus Salzburg stammende Songwriterin Mel veröffentlicht mit "Escape The Cold" ein intensives und überzeugendes Songwriterinnen-Debüt.

Foto: Free Fall Records

.. abseits der meisten Klischees von jungen Frauen mit Gitarre.

Im Bereich jener Kunst, die allgemein als latent lebensunfroh wie gleichzeitig von schier übermächtigen großen Gefühlen erfüllt gilt, ist die Neuigkeit der aktuellsten Sensation seit spätestens 40 Jahren eine, die als mindestens nicht ganz so brandneu gilt. Speziell, wenn es um Frauen als in diesem Genre schöpferisch aktive Kräfte geht, wurde längst alles mit dem Klischeekamm abgegrast, formuliert und postuliert, was zwischen Dur und Moll und zu viel Emotion und zu wenig musikalischem Ausdruck den guten Ton zum milden Leid an sich und der schreckensreichen Umwelt angibt.

Die junge Salzburgerin Mel alias Melanie Mayr bildet diesbezüglich erst einmal keine Ausnahme. Wir hören eine mutig geschlagene Akustikgitarre im als natürlich wirken sollenden Hallraum des Heimstudios. Wir werden Ohrenzeuge einer halbwegs schneidig zwischen Auf-begehren und Aufgabe changierenden Stimme. Sie wird von einer meist abwärts zum Eingemachten und nicht nach oben zum Hymnischen verweisenden, nichtsdestotrotz gefälligen Akkordfolgenvorgabe auf dem angestammt daheim in der Einsamkeit oder vor Gleichgesinnten am Lagerfeuer ausgepackten Klampfe gelenkt. Dazu setzt es sensible Beischmückungen von elektrischer Gitarre, Bass und Wurlitzer-Orgel.

Das alles ist keineswegs neu. Wie aber hier eine junge Frau mit bescheidenem - und in der Musikszene seit Jahrzehnten bestens etabliertem - Instrumentarium wie technischen Fertigkeiten dann doch so agiert, dass aus alledem so etwas Unabdingbares und Dringliches wie ein Alleinstellungsmerkmal entsteht, hat schon große Klasse.

Produziert hat diese von Mel geschriebenen und mit großer Eindringlichkeit und Dringlichkeit komponierten und interpretierten Lieder der König von Salzburg. Der von seiner Stammband The Seesaw bekannte Bonvivant eines heimisch gedeuteten Britpop unter den Vorzeichen der Beatles stehende Stootsie alias Michael Steinitz veröffentlichte nicht nur vor zwei Jahren das erste Minialbum von Mel, die fünf Songs von "Changing". Steinitz steuert nun auch auf dem am 9. April ver- öffentlichten Longplay-Album Escape The Cold seine zurückhaltende und uneitel einzig dem Song dienende elektrische Gitarre bei. Und er fügt dort, wo es die Lieder erfordern, Bass und Keyboards bei.

Die Lieder von Mel erinnern dank ihrer hellen, klaren Stimme manchmal auch daran, was aus der kanadischen Heulboje Alanis Morissette alles hätte werden können - wenn alles gutgegangen und sie vor ihrer Zeit weise geworden und ihre in aller Bestimmtheit oft ins aufgeregt Aufgewühlte kippende Stimme hätte beherrschen können. Mels Songs erweisen sich erfreulicherweise als ganz und gar nicht lokalgebunden. Weder schlechtes Englisch noch unbeholfene Tonsetzung lassen auf ihre heimische Herkunft schließen.

Mel und Lieder wie das mehrstimmig im freundlichen Dialog mit sich selbst stehende "Takin' Steps" deuten mit dem Zeigefinger Richtung Joni Mitchell oder Neil Young und dessen mild-aufgewühlten Duktus der mittleren 1970er-Jahre. Stootsie würgt sich zu einem Gitarrensolo durch, die Sängerin verteilt dazu Karottenkuchen und scharfen wie belebenden Ingwertee.

Neben aktuell für Furore auf dem heimischen Indie-Markt sorgenden Kolleginnen wie Marilies Jagsch oder Paper Bird muss Mel mit den neun Liedern ihres Album "Escape The Cold" ab sofort als weitere ernst zu nehmende Kraft für die Zukunft angesehen werden. Wie bei jeder überzeugenden Kunst geht es vordringlich erst einmal um das Müssen, nicht das Wollen. Der Rest ergibt sich bei entsprechend ernsthaftem Zugang zur eigenen Kunst dann von ganz allein. Ein leises, zurückgenommenes und reifes Albumdebüt, das einen trotz all der Jahre im Geschäft der schnellen Aufregungen staunen lässt. Diese Lieder werden wachsen. Sie werden bleiben. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.4.2010)