Im Spiegel der Wahlergebnisse sieht die SPÖ blass aus. Doch Klubobmann Josef Cap erklärt sich die Niederlagen mit lokalen Ursachen: "Ich kann keine generelle Entwicklung ablesen."

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Standard: Das Parlament wirkt menschenleer, sogar die Cafeteria ist geschlossen. Was machen Sie denn in den Osterferien hier?

Cap: Ganz normalen Bürodienst. Ich bereite mich auf die nächsten Wochen vor, die sehr arbeitsintensiv sein werden.

Standard: Tatsächlich? Die Abgeordneten litten heuer doch auch dann unter Arbeitsmangel, wenn nicht Urlaubszeit war. Zuletzt wurde sogar ein Plenartag abgesagt.

Cap: Der Eindruck täuscht, in Wahrheit ist die Arbeitsintensität gestiegen. Infolge der EU-Mitgliedschaft ist das Bedürfnis der Bürger, mit den Abgeordneten ihrer Wahlkreise zu kommunizieren, gewachsen - wir sind deshalb viel unterwegs. Was die Arbeit hier im Haus betrifft, schwankt das Aufkommen eben. Manchmal langen auch so viele Gesetzesvorlagen ein, dass wir bis ein oder zwei Uhr früh im Plenum sitzen.

Standard: Vor Weihnachten und Wahlen. Ansonsten produziert die Regierung offenbar einfach zu wenige Ergebnisse, über die der Nationalrat entscheiden könnte.

Cap: In solchen Fällen nutzen wir die Zeit, um über Erklärungen der Regierungsmitglieder zu diskutieren oder Initiativen der Opposition im Plenum zu behandeln. Da bleibt mehr Raum für Reflexion, Disput, öffentliche Auseinandersetzung. Der Nationalrat hat an demokratischer Qualität gewonnen.

Standard: Diese Debatten finden doch kaum statt. Gerade SPÖ-Kanzler Werner Faymann erstickt jede ernsthafte Diskussion um des lieben Koalitionsfriedens willen.

Cap: Das Gegenteil ist der Fall, Faymann fordert geradezu kontroverse Debatten. Im Gegensatz zu früher sind die Parlamentsfraktionen auf Augenhöhe mit der Regierung in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Und weil die Koalition für jedes Verfassungsgesetz zumindest eine Oppositionspartei braucht, sind wir zu einer breiteren Behandlung geradezu gezwungen. Beispiel ORF-Gesetz: Da gibt es ein Expertenhearing, Diskussionen im Ausschuss. Das ist ein intensiver Prozess.

Standard: Von außen hat es eher den Anschein, dass Faymann die Harmonie über alles stellt.

Cap: Das ist überhaupt nicht sein Prinzip. Er legt einfach wert darauf, dass ein Konsens, der einmal gefunden wurde, umgesetzt wird. Aber darüber hinaus geht es auch ums Darstellen der Unterschiede. Es gibt nach wie vor Themen, die in der Koalition ausgefochten werden wie die Transparenzdatenbank ...

Standard: ... bei der sich die ÖVP durchgesetzt hat und nun eine Debatte über Sozialmissbrauch anzettelt.

Cap: Das sehe ich anders. Die SPÖ hat sich insofern durchgesetzt, als nicht nur Sozialleistungen transparent werden sollen, sondern alle Förderungen, auch an die Wirtschaft oder die Bauern. Wir haben uns nie dagegen gesperrt, dass man die Subventionspraxis in Österreich unter die Lupe nimmt - nur darf das nicht unter dem Prätext des Sozialabbaus stattfinden.

Standard: Was läuft aus Ihrer Sicht dann falsch? Immerhin hat die SPÖ elf Wahlen en suite verloren.

Cap: In den Ländern gibt es unterschiedliche Probleme. Lokale Gründe geben den Ausschlag, ich kann keine generelle Entwicklung ablesen. Außerdem waren die Resultate sehr unterschiedlich. In Tirol hat die SPÖ nun in einzelnen Gemeinden den Bürgermeistersessel erobert, detto in Niederösterreich und der Steiermark.

Standard: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Glauben Sie wirklich, dass die rote Regierungshälfte nichts dafür kann?

Cap: Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist für sozialdemokratische Parteien natürlich eine besondere Herausforderung. Dass Regierungspolitik in solchen Zeiten nicht mit den gleichen Zustimmungsraten verbunden ist wie in politischen Schönwetterperioden, lässt sich kaum verhindern.

Standard: Die ÖVP ist auch in der Regierung und steigt besser aus.

Cap: Na ja, wenn man bedenkt, dass die ÖVP unter Wolfgang Schüssel bei über 40 Prozent lag, relativiert sich das.

Standard: Apropos Rückblick: Bedauern Sie, die Wahl des FPÖler Martin Graf zum Dritten Nationalratspräsident gefördert zu haben?

Cap: Die Frage verstehe ich nicht. Das war eine geheime Wahl im Nationalrat, bei der sich die Abgeordneten persönlich entscheiden mussten, auch jene der SPÖ.

Standard: Nach dieser Logik könnten Sie auch Barbara Rosenkranz für wählbar erklären.

Cap: Sie tun ja gerade so, als gäbe es keine Kritik der SPÖ an Graf und Rosenkranz. Wer das Verbotsgesetz oder Teile davon infrage stellt und keine klare Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus hat, dem begegnen wir mit null Toleranz. Deshalb ist es auch unverständlich, wenn Klubobmann Karlheinz Kopf und andere in der ÖVP ankündigen, weiß zu wählen. Man kann Heinz Fischer, der seit sechs Jahren untadeliger Bundespräsident ist, doch nicht mit Rosenkranz gleichstellen.

Standard: Warum haben Sie bei Graf dann die Usance beschworen, dass die drittstärkste Partei den Nationalratspräsidenten stellt? Man wusste schon lange, dass Graf am Rechtsextremismus anstreift.

Cap: Im Parlament hatte er sich nie etwas zu Schulden kommen lassen und vor seiner Wahl eine distanzierende Erklärung abgegeben. Aber nach den Vorfällen während seiner Amtszeit hat die SPÖ bekanntlich einen Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem die Abwahl Grafs ermöglicht werden würde. Der Ball liegt seither bei der ÖVP.

Standard: Sie haben als Kind eine katholische Schule, jene der Piaristen in Wien-Josefstadt, besucht. Haben Sie Erfahrung mit gewalttätigen Übergriffen gemacht?

Cap: Nein, es handelte sich auch um kein Internat. Meine Erinnerungen sind positiv. Ich stamme aus einem katholischen Elternhaus, war Ministrant, Teil der katholischen Kirche aus voller Überzeugung - und bin in den Siebzigerjahren aus ebenso fester Überzeugung ausgetreten.

Standard: Wieso?

Cap: Die große Zeit der Kirche war die Ära von Johannes XXIII. und dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Diese Erneuerung wurde schon damals von vielen Konservativen bekämpft, aber es hätte in die richtige Richtung gehen können. Als die Reformbeschlüsse jedoch revidiert wurden, habe ich der Kirche den Rücken gekehrt. Dennoch fühle ich mich kritischen Gruppen, die den Geist des Zweiten Vaticanums weitertragen, verbunden. Es gibt auch sehr zeitnahe Erscheinungen wie den Mailänder Kardinal Martini, der das Zölibat hinterfragt. Aber auf seine Stimme scheint der Vatikan nach wie vor nicht zu hören.

Standard: Trauen Sie der Kirche eine Aufarbeitung der Missbrauchskandale zu?

Cap: Ja. Nach wie vor gibt es aber in der Kirche offenbar auch die Partei, die Vorwürfe vertuschen und den Opfern eher nicht entgegenkommen will - das hat ja auch Kardinal Christoph Schönborn eingestanden. Nicht nachvollziehen kann ich, warum ausgerechnet eine ehemalige Landeshauptfrau Vorsitzende jener Kommission wird, die all diese Vorwürfe aufklären soll. Einen Juristen, vielleicht auch einen kirchennahen, hielte ich für geeigneter. So gesehen verstehe ich Waltraud Klasnics Bestellung nicht. (Gerald John, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.4.2010)