Im Machtkampf zwischen der türkischen Regierung und den Militärs ist es zu einer Entspannung gekommen. Ein türkisches Gericht hat zehn wegen angeblicher Putschpläne festgenommene Offiziere freigelassen. Die Männer waren Ende Februar mit 70 anderen Offizieren festgenommen worden. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine Moschee in den Luft jagen, hunderttausende Menschen festnehmen und die konservativ-islamische Regierung von Premier Tayyip Erdogan stürzen wollen.

Diese Woche beginnt auch eine der wichtigsten parlamentarischen Debatten dieser Legislaturperiode. Die regierende AKP hat eine 23 Paragrafen umfassende Verfassungsänderung vorbereitet und an den Parlamentspräsidenten zur Beratung weitergeleitet.

Die Änderungen beziehungsweise Erneuerungen umfassen so unstrittige Änderungen wie das Vorhaben, künftig selbst höchste Militärs vor zivilen Gerichten anklagen zu können. Auch gegen die Streichung der bisher in der Verfassung verankerten Immunität für die Putschgeneräle von 1980 gibt es kaum Kritik.

Der türkische Präsident Abdullah Gül mahnte seine Anhänger in der Regierung aber zur Vorsicht bei der umstrittenen Verfassungsreform. "Verfassungen sind für alle bindend und langfristig ausgelegte Dokumente der obersten Ebene" , sagte er. Änderungen müssten "mit Vorsicht und Sorgfalt" vorgenommen werden.

Der Streit, der nun fast täglich in verschiedenen Talkshows ausgetragen wird, entzündet sich vor allem an zwei Vorhaben und zwei Versprechen, die nicht eingelöst wurden. Seit einem Jahr wird über politische Reformen diskutiert, die der kurdischen Minderheit des Landes mehr Rechte bescheren sollte, und nun fehlt in der Verfassungsreform dazu jedes Wort. Die Kurden sind entsprechend enttäuscht, und es dürfte für die AKP schwierig werden, kurdische Stimmen im Parlament für die Verfassungsänderung zu gewinnen.

Zehn-Prozent-Hürde bleibt

Das zweite Versprechen betrifft die Zehn-Prozent Hürde, die eine Partei überwinden muss, bevor sie ins Parlament einziehen kann. Diese Hürde wird seit langem als undemokratisch kritisiert, bleibt aber nun, trotz vorheriger Lippenbekenntnisse, bestehen. Am heftigsten konzentriert sich die Debatte aber auf das Richterwahlgremium. Das wichtigste Steuerungsinstrument der Justiz soll geändert, und Parteiverbote sollen erschwert werden. Die AKP will das jetzt Neunköpfige Richterwahlgremium auf 21 Personen aus-weiten. Ursprünglich sollte der Staatspräsident zukünftig den größten Teil der Plätze besetzen können. Nach den Protesten der letzten Tage wird die Quote des Präsidenten nun allerdings gesenkt und mehrere zukünftige Mitglieder sollen nun vom Parlament gewählt werden.

Trotzdem werfen Kritiker der AKP vor, sie wolle mit der Reform nur erreichen, dass die bislang kemalistische Justiz auf die Linie der Regierung gebracht wird. Noch im April soll über das Paket abgestimmt werden. Erreicht es keine Zweidrittelmehrheit, was wahrscheinlich ist, kann der Präsident die Verfassungsreform zu einer Volksabstimmung machen. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 2.4.2010)