Endzeitstück unter der Autobahn mit einem etwas anderen Parsifal (Andrew Richards).

Foto: Staatstheater

In der Stuttgarter Oper wird Jossi Wieler im nächsten Jahr Albrecht Puhlmann ablösen. Gegen eine Verlängerung hatte man sich wohl auch deshalb entschieden, weil der in seinen ersten Jahren mitunter etwas ungeschickt agiert hat. Auch für Generalmusikdirektor Manfred Honeck hat man schon einen Nachfolger im Visier.

Und: Plötzlich spielt Stuttgart wieder auf dem Niveau, mit dem es in der Ära von Klaus Zehelein jahrelang den Spitzenplatz unter den deutschen Opernhäusern halten konnte. Kürzlich mit Stefan Herheims opulentem Rosenkavalier. Und jetzt Calixto Bieitos dunkler Endzeitblick auf Parsifal.

Der obsessive Deutungsfuror des Katalanen lässt natürlich nichts übrig von einem zelebrierten Hochamt der Wagner'schen Kunstreligion. Eine kleine ironische Pointe bleibt immerhin. Wenn die (hochschwangere) Kundry im dritten Aufzug den zurückgekehrten Parsifal wie einen knallbunten Super-Jesus für jedermann mit den Insignien sämtlicher Religionen wie einen Weihnachtsbaum aufputzt, dann ist auch eine kleine Büste von Richard dabei. Es gibt sogar eine Dosis Weihrauch für den Saal und engelgleiche Kinder mit Altarkerzen zum Karfreitagszauber.

Bieito kennt sich aus mit dem kirchlichen Angebot. Und zwar in jeder Hinsicht. In seiner Parsifal-Welt aber haben sie alle Hoffnung längst fahren lassen. Der Gral ist nichts als der Restmüll einer postkatastrophischen Endzeit. Schon oft bewährt, aber hier besonders wirkungsvoll: Unter der zerstörten Autobahnbrücke, die Susanne Gschwender im Nichts enden und immer weiter verfallen lässt, vegetieren verrohte Underdogs dahin.

Hier kann sich Gurnemanz (raumfüllend ohne Nettigkeit: Stephen Milling) zwar noch Engel herbeisuggerieren, prügelt einen von ihnen aber mit priesterlichem Riemen tot. Für die Gralsenthüllung dann setzt Gurnemanz den smarten Eindringling Parsifal (charismatisch und mit Strahlkraft: Andrew Richards) unter Drogen und greift selbst, desillusioniert, zur Flasche.

"Erlöse mich!"

Immerhin ist Parsifal von dem in kraftvoller Pose leidenden Amfortas (mit eher rebellischer als leidender Vehemenz: Gregg Baker) beeindruckt und kniet in Erlöserpose mitten in der zur Demonstration mutierten Gralsenthüllung. Sie fragen und fordern "Wo ist Gott?" oder "Erlöse mich" in allen möglichen Sprachen. Und sie kriegen, was sie verlangen. Jeder seinen Gral.

Klingsor kommt dann mit dem Flammenwerfer und spielt auch sonst mit dem Feuer. Ist bei Claudio Otelli weniger diabolisch, changiert aber überzeugend zwischen Opfer seiner selbst und Täter. Kämpft mit Kundry einen Geschlechterkampf, freilich ohne die Waffe dafür. Er muss sich von ihr erniedrigen lassen, ist aber dennoch der exemplarisch männliche Täter, denn die Blumenmädchen sind missbrauchte Frauen, mit zugepflasterten Körpern unter den Pelzmänteln.

Kundry fühlt sich dann bei ihrem Verführungsversuch so weit in Parsifals Mutter ein, dass sie ihm im wahrsten Wortsinne wie einem Säugling die Brust gibt. Auch sonst zeigt Christiane Iven rückhaltlosen körperlichen und stimmlichen Einsatz. Überhaupt ist es bislang wohl kaum je in einem Parsifal so trostlos, nachtschwarz und jenseits zivilisatorischer Restbestände, doch zugleich so körperlich sinnlich zugegangen wie bei Bieito.

Der Katastrophen-Sound

Am Ende dann ist er als neuer König nackt, und lässt sich in eine ungewisse, wohl aber gottlose Zukunft tragen. Nur Kundry bleibt allein zurück. Manfred Honeck gehört zu den eher flotteren Parsifal-Dirigenten. Dass er mehr auf einen zugespitzten, nach außen gekehrten Katastrophen-Sound und weniger auf Leidenserforschung setzt, passt zur beklemmend packenden Szene, auf der großformatig gesungen wird. Gespielt sowieso. Der Jubel für die Protagonisten war ungeteilt. Bei der Regie mischten sich natürlich auch Proteste unter die Zustimmung. (Joachim Lange aus Stuttgart / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.4.2010)