Zur Person:

Robert Zweiker ist Kardiologe an der Universitätsklinik für Innere Medizin der Medizinischen Universität Graz. Er leitet die Hypertonieambulanz und hat die wissenschaftliche Leitung des Reformpoolprojektes der Landesgesundheitsplattform Steiermark "herz.leben" zur Prävention von Herz-Kreislaufereignissen bei Patienten mit erhöhtem Blutdruck und kardiovaskulären Risikofaktoren inne.

Foto: Robert Zweiker

Der Welthochdrucktag steht heuer unter dem Motto: Healthy weight - Healthy blood pressure - Hochdruckexperte Robert Zweiker im Gespräch.

derStandard.at: Wie hängt hoher Blutdruck mit Übergewicht eigentlich zusammen?

Zweiker: Der Bluthochdruck ist eine typische Lebensstilerkrankung und als solche direkt proportional damit verknüpft. Fettzufuhr, Cholesterin, Salzkonsum und Übergewicht - all das wirkt sich unmittelbar auf den Blutdruck aus. Das ist aus gesundheitlicher Sicht natürlich eine Katastrophe, andererseits eröffnet diese Tatsache aber auch eine sehr gute Perspektive. Das heißt mit der Modifizierung des Lebensstils, sprich einer Gewichtsabnahme lassen sich sehr gute blutdrucksenkende Effekte erzielen.

derStandard.at: Wie treiben die Kilos den Blutdruck denn im Detail in die Höhe?

Zweiker: Es ist eine Kombination aus mehreren Faktoren. Ganz entscheidend ist der Sympathikotonus. Dieses antreibende Nervensystem besitzt bei übergewichtigen Patienten eine gesteigerte Aktivität. Dazu kommt, dass ein offensichtliches Missverhältnis zwischen Energiezufuhr und -verbrauch vorliegt. Das bedeutet, wenn dem Körper deutlich mehr Energie zugeführt wird, als er verbrauchen kann, dann ist der Organismus bemüht diesen energetischen Überschuss zu verarbeiten. Das tut er, indem er einerseits an Gewicht zulegt und andererseits, indem er die Aktivitäten seines Herz-Kreislaufsystems erhöht. Das Fettgewebe per se heizt den Kreislauf dann noch mehr an, denn Fett wird extrem gut durchblutet. Das Resultat dieser hohen Belastung ist ein erhöhter Blutdruck.

derStandard.at: Ein Blick in die Geschichte zeigt aber dass Dicksein nicht immer mit Kranksein assoziiert wurde.

Zweiker: Das stimmt und wie es aussieht hätten wir hier einen gewissen Nachholbedarf in unserer genetischen Ausstattung. Venus von Willendorf ist ein Beispiel dafür, wie erstrebenswert es schon in der Steinzeit war eine gewisse körperliche Fülle zu entwickeln. Der Punkt ist nur, dass Menschen vor Jahrtausenden als bessere Futterverwerter im Vorteil waren. In Mangelsituationen hat sich das Übergewicht als absoluter Vorteil erwiesen hat, weil aus jeder zugeführten Kalorie das Maximum herausgeholt wurde. Pathologisch ist Körperfülle erst in der heutigen Überflusszeit geworden. Diese selektionierte Gruppe an adipösen und übergewichtigen Personen, die bald die Mehrheit innerhalb einer Population ausmacht, kann aufgrund ihrer Bewegungsarmut die zugeführte Energie einfach nicht mehr verwerten.

derStandard.at: Ist Übergewicht denn immer mit Bluthochdruck assoziiert?

Zweiker: Fast immer. Es hängt davon ab in welcher Form sich das Übergewicht präsentiert. Apfeltypen besitzen vor allem intraabdominales (viszerales) Fett, eine gesteigerte Insulinresistenz und damit verknüpft eine höhere Sympathikotonie und eine höheres gesundheitliches Risiko als Birnentypen. Frauen haben hier deutliche Vorteile, denn der Birnentyp ist sicher besser dran.

derStandard.at: Die wichtigste Frage für den Übergewichtigen in der Praxis: Welchen blutdrucksenkenden Effekt darf ich mir denn pro Kilogramm Gewichtsverlust erwarten?

Zweiker: Das hängt vom Ausgangsblutdruck ist. Je höher der ist, desto mehr darf sich der Patient erwarten. Mit voller Hose lässt es sich einfach leichter stinken, sprich mit einem hohen Ausgangsrisiko kann man auch mehr erreichen. Wenn der systolische Ausgangswert also bei 180mmHg liegt, dann ist der Effekt größer als bei einem Wert von 150mmHg. Im Durchschnitt kann man aber davon ausgehen, dass der systolische Wert pro Kilogramm Gewichtsverlust um ein bis zwei mmHg, der diastolische um knapp unter ein mmHg fällt. Abnehmen ist auf alle Fälle die effektivste Methode um den Blutdruck zu senken.

derStandard.at: Aber ist nicht gerade beim Übergewichtigen das Messen des Blutdrucks besonders schwierig? Ist eine korrekte Bestimmung überhaupt möglich?

Zweiker: Das ist in der Tat ein gravierendes Problem. Bei adipösen Menschen mit einem Oberarmumfang von über 33 cm verwenden wir breitere Manschetten, um nicht falsche hohe Werte zu messen. Üblicherweise gibt es mehrere Manschettenbreiten, die auch entsprechend Verwendung finden. Alternativ ist auch die Messung am Handgelenk möglich, allerdings haben Untersuchungen ergeben, dass diese Methode im Vergleich mit der Oberarmmessung sehr ungenau ist. Bei Personen, die unter einer Adipositas permagna leiden, gibt es aber keine andere Möglichkeit.

derStandard.at: Aber es ist doch bekannt, dass der Blutdruck per se hohen Schwankungen unterliegt und allein die Anwesenheit eines Arztes den Blutdruck schon in die Höhe treiben kann. Die Diagnose Bluthochdruck scheint also schwierig zu stellen?

Zweiker: Absolut richtig. Hypertonie ist eine der am schwierigsten zu stellenden Diagnosen überhaupt, weil eben die Variabilität so stark ist. Mit einer Ordinationsmessung lässt sich die Diagnose, aufgrund des „Weißkittelphänomens" natürlich nicht absichern. In der ärztlichen Praxis kann nur das Risiko stratifiziert werden. Was dann kommt, liegt in der Eigenverantwortung des Patienten. Dafür ist das Erlernen der Selbstmessung entscheidend. In der Steiermark wurde zu diesem Zweck das Herz.Leben-Projekt geschaffen. 1.600 Bluthochdruck-Patienten wurden bereits geschult und die blutdrucksenkenden Effekte infolge dieser Maßnahme haben wir 2009 beim europäischen Hochdrucktreffen präsentiert.

derStandard.at: Womit sichern sie die Diagnose noch ab?

Zweiker: Mit einer 24-Stunden-Blutdruckmessung. Dieses diagnostische Werkzeug ist heute State of The Art und wird in einigen westlichen Bundesländern von den Gebietskrankenkassen bereits bezahlt. In Niederösterreich, Wien und im Burgenland ist das leider nicht der Fall. Hier gibt es dringend Nachholbedarf.

derStandard.at: Früher galt die Faustregel für den Blutdruck 100 plus Lebensalter. Mittlerweile purzeln die empfohlenen Grenzwerte in immer tiefere Regionen. Darf man die Empfehlungen ernst nehmen?

Zweiker: Hundert plus Alter ist schon lange eine verlassene Diktion. Trotzdem aber, weil sie eben so griffig ist, ist sie immer noch in den Köpfen vieler Patienten und älterer Allgemeinmediziner verankert. Dass die empfohlenen Grenzwerte heute tiefer angesetzt sind macht aber durchaus Sinn, denn es gibt eine direkte Korrelation zwischen Blutdruck und Ereignissen, wie dem Schlaganfall oder dem Herzinfarkt. Man kann davon ausgehen, dass zwei Drittel aller Schlaganfälle durch einen Blutdruck bedingt sind, der über 115 mmHg systolisch liegt.

derStandard.at: Dann müssten die empfohlenen Grenzwerte ja noch niedriger angesetzt werden, als es derzeit der Fall ist.

Zweiker: Ich sage nicht, dass jeder Patient einen systolischen Blutdruck von 115 mmHg erreichen muss, denn diese Zahlen kennt man nur aus Beobachtungsdaten. Aus Interventionsstudien hat man derzeit nur den Beleg dafür, dass Blutdruckwerte unter 140/90 liegen sollten. Die Quintessenz ist, dass es sehr vom einzelnen Patienten abhängt, wie tief der angestrebte Zielwert liegen sollte. Wenn ich eine 25-jährige Frau mit erhöhtem Blutdruck, sprich über 140/90 behandle, dann kann und darf ich viel niedrigere Werte anstreben, als bei einem 80-jährigen Patienten. Der Grund ist: Die junge Frau wird tiefe Blutdruckwerte wesentlich besser tolerieren. Ein alter Mensch, wird bei einem systolischen Wert von 115mmHg mit Orthostaseproblemen, also Schwindel konfrontiert. Das Ziel ist also den niedrigsten tolerierbaren Blutdruck für die Einzelperson zu finden.

derStandard.at: Eine aktuelle Studie hat herausgefunden, dass zu niedrige Blutdruckwerte für Diabetiker gefäßschädigend sind?

Zweiker: Ich denke nicht, dass es gefäßschädigend ist, aber zu niedrig kann eben das Risiko für Nebenwirkungen erhöhen. Im Fall eines Diabetikers kann es aufgrund seines neurologischen Defizits ebenfalls zu einer Orthostasereaktion und damit zu einer Unterversorgung der Herzmuskulatur kommen, wie auch beim alten Menschen. Man darf also nicht in jedem Fall in die tiefsten Tiefen hinuntersenken. Entscheidend ist dem Risikofaktor trotzdem entschlossen entgegenzutreten und nicht aus der Angst heraus möglicherweise zu tief zu senken, lieber gleich gar nichts zu tun. Die Hauptbotschaft ist, den Bluthochdruck individualisiert zu betrachten und auch zu behandeln.

derStandard.at: Wann genügt Lifestylemodifizierung alleine nicht mehr und die Kombination mit Medikamenten wird erforderlich?

Zweiker: Das hängt vom Ausgangsrisiko des Patienten ab. Das Ausgangsrisiko ist durch die Höhe des Blutdrucks und durch die begleitenden Risikofaktoren und Endorganschäden definiert. Leidet ein Patient unter Diabetes, hat erhöhte Blutfette und bereits einen Herzinfarkt hinter sich, dann heißt es rasch handeln, um den Blutdruck in normale Bereiche zu bekommen. Je weniger Zusatzrisiken, Endorganschäden und Blutdruckerhöhung, desto länger kann ich mit einer medikamentösen Therapie zuwarten. Im Allgemeinen liegt diese Wartezeit bei ungefähr drei Monaten. (derStandard.at,14. 05.2010)