Kabul - Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen wollen vom morgigen Mittwoch an 1.600 Delegierte in der afghanischen Hauptstadt Kabul den Grundstein für eine Aussöhnung mit den Taliban legen. Die "Friedens-Jirga" ist für drei Tage angesetzt. Zur Eröffnung wurde eine Ansprache von Präsident Hamid Karzai erwartet. Er hat die Aussöhnung mit den Taliban zur wichtigsten Aufgabe seiner zweiten Amtszeit erklärt.

Nach Angaben des Innenministeriums sind wegen der Jirga 12.000 zusätzliche Sicherheitskräfte in Kabul eingesetzt, um Anschläge zu verhindern. Afghanische Soldaten und Polizisten werden von der Internationalen Schutztruppe ISAF unterstützt. Der Sprecher der ISAF, der deutsche General Josef Blotz, sagte am Dienstag: "Die Internationale Staatengemeinschaft und die ISAF stehen hinter jeder Bemühung der afghanischen Seite, einen Friedensprozess einzuleiten."

Blotz sagte, zwar könne Sicherheit auch bei der Jirga nicht garantiert werden. "Ein entschlossener Attentäter, der von langer Hand einen Anschlag in einer Millionenstadt wie Kabul plant, ist nur sehr schwer davon abzubringen." Derzeit sei das Umfeld aber "erstaunlich ruhig". Die Sicherheitskräfte seien auf mögliche Anschläge vorbereitet. Zuletzt waren bei einem Selbstmordanschlag in Kabul vor zwei Wochen 18 Menschen getötet worden, darunter sechs ISAF-Soldaten.

An der Ratsversammlung nehmen keine Aufständischen teil. Karzai erhofft sich breite gesellschaftliche Unterstützung für seinen Aussöhnungskurs und ein Mandat für den Beginn eines Friedensprozesses. Zur Jirga hat die Regierung den Entwurf eines "Friedens- und Reintegrationsprogramms" (APRP) erarbeitet, das mit der Internationalen Gemeinschaft abgestimmt wurde.

Einfachen Kämpfern soll dem 36-seitigen Papier zufolge Straffreiheit zugesichert werden, wenn sie die Waffen niederlegen und die Verfassung anerkennen. Anführern des radikal-islamischen Aufstands könnte unter anderem der Gang ins Exil angeboten werden, wenn sie sich vom Terrornetz Al-Kaida lossagen.

Jirga-Sprecher Gul Agha Ahmadi sagte vor dem Treffen, unter den Delegierten seien Angehörige aller Volksgruppen und Regionen Afghanistans. Er hoffe, dass bald nach der Versammlung ein Friedensprozess beginnen könne. Die Taliban lehnen Verhandlungen vor einem Abzug der ausländischen Truppen bisher ab. Vor Beginn der Jirga verübten sie mehrere Anschläge. Außerdem griffen sie die beiden größten Stützpunkte der internationalen Truppen in Afghanistan an.

Bei dem Treffen handelt es sich nicht um eine Loya Jirga, eine Große Ratsversammlung. Einberufung und Teilnehmer der Loya Jirga sind in einem eigenen Verfassungskapitel geregelt. Die Loya Jirga ist demnach "die höchste Manifestation des Willens des afghanischen Volkes". Die nun von Karzai einberufene Versammlung hat keinen bindenden Charakter, aber dennoch hohe Symbolkraft.

Die "Friedens-Jirga" hätte bereits Anfang Mai stattfinden sollen, wurde dann aber wegen technischer und logistischer Probleme auf Ende Mai und schließlich Anfang Juni verschoben. Sie findet wegen befürchteter Anschläge der Taliban unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Internationale Schutztruppe ISAF unterstützt dabei die afghanische Armee und Polizei. (APA)