Die SVA versuchte die Demo vor den Türen ihres Wiener Hauptgebäudes zunächst mit Transparenten zu vereinnahmen.

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Der stellvertretende SVA-Obmann Martin Gleitsmann (2.v.l.) musste sich aber doch einiges anhören. Die Zwischenrufe reichten von "Bonze" bis "unfähig". Andere lobten ihn, dass er sich der Diskussion stellte.

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Grüner Sozialsprecher Öllinger: "Situation ist Provokation für Versicherte."

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Schriftsteller Ruiss: "Sie machen auf unserem Rücken Politik - und zwar schlechte."

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Wien - Drinnen hatten Mitarbeiter der SVA zwei Kannen Kaffee bereitgestellt, doch das interessierte die rund einhundert protestierenden Selbständigen, die seit dem 1. Juni ihre Arztkosten selbst vorschießen müssen, wenig. Ins Gebäude der SVA, der Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft, verschlug es die verärgerten Versicherten nicht. Sie wollten keinen Kaffee, sie wollen einen Vertrag.

"Uns ist egal, wer schuld ist"

Bernhard Tobola, selbst 31-jähriger Freiberufler, hatte die friedlichen Demonstranten über "Facebook" zusammengetrommelt. Er sei weder auf der Seite der Ärztekammer noch auf jener der SVA, sprach er um 14.00 Uhr als erster Redner ins Mikrofon. "Mir ist es auch gleich, wer daran schuld ist. Wir wollen ganz einfach eine Lösung", rief Tobola unter Beifall. Die SVA versuchte, die ganze Veranstaltung zu vereinnahmen. An den Wänden des SVA-Gebäudes hingen fototaugliche Plakate. Der Schwarze Peter, so die Botschaft, gehöre der Ärztekammer. Der stellvertretende SVA-Obmann Martin Gleitsmann ergriff das Mikrofon und erklärte seine Sicht der Dinge, und zunächst schien die Demo in eine PR-Veranstaltung für die SVA zu mutieren.

Die Ärztekammer habe Unzumutbares gefordert, sagte Gleitsmann. Hundert Mitarbeiter der SVA seien derzeit unterwegs, um mit Ärzten, Therapeuten und Apothekern brauchbare Regelungen für die rund 410.000 betroffenen SVA-Versicherten zu finden. Und jenen Selbständigen, die kein Geld für den Arzt hätten, wolle man sogar Vorschüsse geben.

Selbständige "schlicht und einfach hinausgeworfen"

"Wir halten es für unerträglich, dass die Selbstständigen in diesem Land diskriminiert werden." Man sei nicht Schuld an dieser Situation, "wir haben den Vertrag nicht gekündigt", verteidigte sich Gleitsmann. Die Teilnehmer fragten, Gleitsmann antwortete.

"Nicht immer ihn fragen", entfuhr es schließlich dem anwesenden Schriftsteller Gerhard Ruiss. "Wir fühlen uns schlicht und einfach hinausgeworfen", nahm er sich das Mikrofon. Es könne doch nicht sein, "dass Sie auf unserem Rücken Politik machen", zürnte Ruiss, der Geschäftsführer der "IG Autorinnen Autoren" ist, über die monatelangen Machtspiele zwischen Ärztekammer und SVA. Eine Politik, die obendrein "eine schlechte und eine falsche Sozialpolitik" sei. Dafür erntete er großen Beifall.

Teilnehmer: "Sie haben versagt"

Die Stimmung schlug nun in offene Kritik an den SVA-Funktionären um, wobei Gleitsmann, der sich immerhin den Kritikern gestellt hatte, das meiste Fett abbekam. "Wie geht denn das: Wir haben eine Pflichtversicherung, und ihr bringt nichts zusammen", rief ein Selbständiger dem SVA-Verhandler Gleitsmann entgegen. Von "Bonze" über "unfähig" bis hin zu "gewerblicher Betrug" bekam Gleitsmann immer wieder grollende Zwischenrufe zu hören.

Die Demonstranten hörten sich seine Repliken zwar geduldig an, zeigten sich aber unzufrieden. "Sie haben schlicht und einfach versagt", rief ein Teilnehmer, Buhrufe folgten. "Ich stehe da mit einer Psychose und keinem Medikament, und dann komm ich zu Ihnen", stellte eine ältere Dame Gleitsmann Konsequenzen seines Handelns in Aussicht. Auf Flugblättern verlangten die Demonstranten die sofortige Fortsetzung der Verhandlungen, um den vertragslosen Zustand zu beenden.

Öllinger warnt vor schleichendem Systemumbruch

Bei der Kundgebung mit dabei waren auch Politiker der Grünen, darunter Sozialsprecher Karl Öllinger. "Der Konflikt wird von SVA und Ärztekammer inszeniert, ich halte das für eine Provokation für die Versicherten", begründete er seinen Auftritt gegenüber derStandard.at. Er sehe bei SVA bzw. im weiteren Sinne bei der Wirtschaftskammer ein größeres Maß an Verantwortung als bei der Ärztekammer. "Es geht nicht um einen Tarifstreit, sondern um einen Systemumbruch", warnte Öllinger.

Die Demonstranten zogen gegen 16.00 Uhr weiter zum Gebäude der Ärztekammer in der Wiener Innenstadt. (APA/kap, derStandard.at, 1.6.2010)