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Treffen mit den Kritikern: Der russische Premier Wladimir Putin (li.) hört sich an, was Juri Schewtschuk zu sagen hat. Der bekannte Rockmusiker ging mit der Regierung scharf ins Gericht.

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Und das, obwohl sich Premier Putin für eine demokratische Entwicklung aussprach.

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Süßen Tee, Brot, Nudeln, Mineralwasser, Gemüse und Obst sollte man zu sich genommen haben, wenn man an der Aktion "Gib Blut - rette Leben" der kremlnahen Jugendorganisation Rossija molodaja (Junges Russland) teilnehmen wollte. "Im Rahmen der regelmäßig am Tag des Spenders durchgeführten Aktion am letzten jedes Monats können alle Interessierten hier am Triumphplatz Blut spenden", erklärt Junges-Russland-Aktivist Alexander Fjodorow.

Trotz einer riesigen Konzertbühne, die den Triumphplatz rund um das Denkmal des Dichters Wladimir Majakowskij mit russischer Popmusik beschallte, fiel die Ausbeute gering aus: Nur 30 Liter Blut wurden am Montag gespendet. Reiner Zufall, dass die Blutspendeaktion der Kremljugend just am gleichen Tag und Ort stattfand wie die angekündigte, aber nicht genehmigte Demonstration der außer-parlamentarischen Opposition.

Menschenrechtler und verschiedene Oppositionsgruppen versammeln sich seit einem Jahr an jedem 31. des Monats, um für den Artikel 31 der russischen Verfassung, der die Versammlungsfreiheit garantiert, zu demonstrieren. Die Aktionen der Opposition, die in mehreren russischen Städten stattfinden, werden für gewöhnlich von der Miliz aufgelöst.

Schon zu Mittag wurde der Triumphplatz von Sicherheitskräften abgeriegelt. Rund um den Platz standen mehr als 30 Autobusse mit Milizionären und Angehörigen der Spezialeinheit Omon bereit. Kaum zeigte sich am Ausgang der Metro ein Oppositioneller - leicht erkennbar an den Plakaten oder Schildern mit der Zahl 31 - wurden sie von Milizionären abgedrängt.

Miliz schlägt Demonstranten

Die Polizei ging diesmal besonders brutal vor. Einem Reporter der Internetzeitung Gazeta.ru wurde der Arm mehrmals gebrochen. Nach Angaben der Moskauer Polizei wurden rund 150 Menschen festgenommen. Der Radiosender Echo Moskwy berichtete von 200 Verhaftungen.

Dabei war die Hoffnung der Aktivisten groß, diesmal ungestört ihre Versammlung abhalten zu können. Bei einem Charity-Dinner für krebskranke Kinder in St. Petersburg bekannte sich Premierminister Wladimir Putin am Wochenende zur demokratischen Entwicklung Russlands, ohne die es keine Zukunft gebe. "Nur in einer freien Gesellschaft kann sich der Mensch entwickeln" , sagte Putin, der zuvor vom bekannten Rocksänger Juri Schewtschuk scharf kritisiert wurde.

Ob Putin denn an eine ernsthafte, aufrichtige und ehrliche Liberalisierung und Demokratisierung denke? Eine, die gewährleistet, dass zivilgesellschaftliche Organisationen nicht erwürgt, der Milizionär auf der Straße nicht gefürchtet werden muss, fragte Schewtschuk von der säuerlichen Miene Putins unbeeindruckt. Die Szene, die vom staatlichen Fernsehen übertragen wurde, zeigt, wie sich die Miene des Premiers verfinstert und die Mundwinkel zum Zucken beginnen.

Putin reagierte auf die Kritik emotional und laut, beteuerte aber, dass er prinzipiell nichts gegen Demonstrationen habe: "Was soll daran schlecht sein, wenn die Leute die Regierung auf wunde Punkte hinweisen?" Die Genehmigung der Demonstrationen obliege jedoch den regionalen Behörden. Putins Pressesprecher sagte am Tag nach dem Abendessen, dass Putins Aussagen kein Freibrief für Kundgebungen seien.

Russische Medien werteten jedoch schon allein die Tatsache, dass Putin öffentlich zu Kritik Stellung nahm, als kleine Sensation. Nikolaj Petrow, Politologe des Moskauer Carnegie-Zentrums, bezeichnete das Treffen Putins mit der St. Petersburger Intelligenz als Wahlkampagne Putins.

Liberalismus-Versuch

Bei der Präsidentschaftswahl in zwei Jahren wollen sowohl Putin als auch der amtierende Präsident Dmitri Medwedew antreten. Während Putin als Hardliner gilt, steht Medwedew für einen liberaleren Kurs. Olga Kryschtanowskaja, Elitenforscherin an der Russischen Akademie der Wissenschaften, wertete das Abendessen als Zeichen dafür, dass Putin versuche, liberaler aufzutreten. (Verena Diethelm aus Moskau, DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.6.2010)