Jedes System, das mit akkumuliertem Kapital zu tun hat - sei es Biomasse, Energie oder Finanzkapital -, ist niemals statisch und linear, sondern durchläuft verschiedene Zyklen: Einer Phase des Wachstums folgt die der Erhaltung des Status quo, der an bestimmten Punkten nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Diese Phase des "Loslösens" wird von einer Reorganisations- und Erneuerungsphase abgelöst, die schließlich wieder in eine neue Wachstumsphase mündet.

Dieses Modell, das im Grunde von den Zyklen der Natur abgeleitet ist, geht auf den kanadischen Wissenschafter Crawford Stanley "Buzz" Holling zurück, der als Begründer der ökologischen Ökonomie gilt. "Wenn ein System genug akkumuliert hat, wird es immer sensibler für einen Zusammenbruch", sagte Holling bei seinem Besuch in Wien, wo er die Eröffnungsrede einer Tagung zu Resilienzforschung hielt, veranstaltet von Industriellenvereinigung, Wissenschaftsministerium, FAS Research und dem International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) das der 79-Jährige zwischen 1981 und 1984 leitete.

Hollings Forschungen zur Resilienz von Ökosystemen, also der Fähigkeit, Störungen zu tolerieren, ohne dass das System zusammenbricht, hatten seit den 1970er-Jahren maßgeblichen Einfluss auf Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und schufen damit eine Verbindung von Systemtheorie und Ökologie.

In den derzeitigen globalen Krisen sieht Holling Anzeichen für einen Mangel an Resilienz. "Wir sind an einer Stufe angelangt, an der eine Veränderung ansteht", stellte Holling fest. "Es gibt viele Kräfte, die damit beschäftigt sind, eine Veränderung zu verhindern. Auf der anderen Seite bekommen alternative Kräfte in kleinem Maßstab, besonders aus dem Internet- und Kommunikationsbereich, immer mehr Einfluss."

Wie Systeme nachhaltiger und stabiler werden können und was sie dabei von den Strukturen und Funktionen von Ökosystemen lernen können, wurde während der Tagung internationaler Wissenschafter analysiert und diskutiert, und zwar auf allen Ebenen: von Individuen über soziale Netzwerke und Unternehmen bis zu staatlichen und globalen Finanzsystemen. Nicht nur um die gegenwärtige Krise zu verstehen, sondern auch um besser darauf reagieren zu können. (kri/DER STANDARD, Printausgabe, 02.06.2010)