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Christian Wulff, der Mann mit den drei Anläufen.

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Wulff hatte im zweiten Wahlgang mit 615 Stimmen zwar eine etwas größere Zustimmung als beim ersten Durchgang erhalten, verfehlte die notwendige absolute Mehrheit von 623 Stimmen aber erneut. Union und FDP stellen 644 Wahlleute in der Bundesversammlung - rechnerisch verweigerten also 29 Wahlleute aus dem schwarz-gelben Lager ihrem Kandidaten die Unterstützung. Der Kandidat von SPD und Grünen, der frühere DDR-Bürgerrechtler Gauck, erhielt im zweiten Wahlgang abermals auch Stimmen aus anderen Parteien.

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Kanzlerin Merkel unter Druck. Die Bundespräsidentenwahl wird die schwarz-gelbe Koalition wohl noch eine Weile beschäftigen.

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Gauck sagte nach der Wahl, er sei zuversichtlich, dass Wulff in seinem neuen Amt Erfolg haben werde.

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Nach der Zitterpartie: Die Kanzlerin sagte, die Wahl habe deutlich gemacht, dass hinter Christian Wulff "eine große Mehrheit" stünde, "die er auch in der Bevölkerung finden wird"

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Wulff ist der zehnte und jüngste Präsident seit Ende des Zweiten Weltkrieges.

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Nach einem dramatischen Tag und drei Wahlgängen ist Christian Wulff neuer Bundespräsident. Seine Kandidatur brachte Schwarz-Gelb an den Rand der Verzweiflung.

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Berlin - Sieger sehen anders aus. Nach neun Stunden und drei Wahlgängen ist die Wahl Christian Wulffs zum Bundespräsidenten fixe Sache. Angela Merkels Kandidat Wulff erhielt 625 von 1240 gültigen Stimmen, sein Gegenpart Joachim Gauck nur 494. 121 Enthaltungen gab es - wohl ganz überwiegend bei der Linkspartei. Ungültig waren zwei Stimmen. "Das, was zählt, ist, dass wir einen neuen Bundespräsidenten haben", sagt Angela Merkel kurz nach Bekanntgabe des Ergebnisses. Und trotzdem: Wulff hat mühsam gesiegt, ohne richtig zu gewinnen. Der Wulff-Fehlstart muss nun zum Zeichen schwarz-gelber Einheit umgedeutet, die Fast-Pleite irgendwie schön geredet werden.

Wulff erreichte doch noch die absolute Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung. Dieses Quorum von 623 Stimmen hatte er in den beiden ersten Wahlrunden verfehlt. Im dritten Wahlgang hätte auch die einfache Mehrheit ausgereicht. Die Kandidatin der Linkspartei, Luc Jochimsen, war im dritten Wahlgang nicht mehr angetreten. Auch die NPD hatte ihren Bewerber Frank Rennicke zurückgezogen.

Debakel für Schwarz-Gelb

Das Wahlverfahren zog sich über Stunden hin und war mit über neun Stunden Dauer das längste, das es bislang bei einer Bundespräsidentenwahl gab. Um 12 Uhr mittags war die Bundesversammlung zum ersten Wahlgang zusammengekommen. Das Ergebnis des dritten Wahlgangs wurde kurz nach 21 Uhr verkündet.

Die Spitzen der schwarz-gelben Koalition haben sichtbar erleichtert auf die Wahl ihres Kandidaten in der dritten Runde reagiert, den Verlauf der Wahl aber zum Teil als deutliche Aufforderung zum Umdenken interpretiert. SPD und Grüne sprachen von einer Schlappe für die Koalition und kritisierten zugleich die Linkspartei scharf.

"Ein Neustart war dies nicht"

Die Wahl von Christian Wulff zum zehnten Bundespräsidenten des Landes hat nicht für das erhoffte Signal der Geschlossenheit, sondern vielmehr für neuen Zündstoff gesorgt. Die vielen Abweichler von Union und FDP, die sich nicht zu erkennen gaben, verstärken das ohnehin von gegenseitigem Misstrauen und Vorwürfen geprägte Klima in der Koalition. Am griffigsten fasste der hessische FDP-Landevorsitzende Jörg-Uwe Hahn zusammen, was das Ergebnis für die Bundesregierung politisch bedeutet: "Ein Neustart war dies nicht."

Und beiden Seiten lassen keinen Zweifel daran, wen sie für die Schlappe bei der geheimen Wahl verantwortlich machen. "Es muss an der Union gelegen haben, die ein Zeichen der Unzufriedenheit mit ihrer Führung senden wollte", sagt FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms. In der CDU dagegen zeigt man auf die Liberalen.

Reaktionen CDU

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) sagte der Mitteldeutschen Zeitung mit Blick auf die Zitterpartie: "Das ist eher eine Art Ausrufezeichen und die Aufforderung: Beschäftigt Euch mal mit Euren inneren Problemen!"

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) wertete den Verlauf der Wahl als "verpasste Chance". Tillich kritisierte gegenüber Abendblatt.de, dass mehrere Abweichler unter der Wahlleuten von CDU, CSU und FDP Wulff mehrmals einen Denkzettel erteilten. "Das ist kein gutes Ergebnis", sagte er.

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) wollte dagegen der schwierigen Wahl keine größere Bedeutung beimessen. "Auch andere Kandidaten sind erst im dritten Wahlgang gewählt worden, das wird auch dieses Mal nach kurzer Zeit kleine Rolle mehr spielen."

"Keine Kleinigkeit"

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Entwicklungshilfeministerium, Gudrun Kopp (FDP) sagte der Zeitung Neue Westfälische, man könne angesichts diese Umstands nicht zur Tagesordnung übergehen. In der Union müsse nun "ein Aufarbeitungs- und Nachdenkprozess stattfinden". Denn aus diesen Kreisen hätten etliche Stimmen für Wulff gefehlt, im ersten Wahlgang sogar 44 Voten. Dies sei "keine Kleinigkeit".

Unmittelbar nach seiner Wahl erklärte Wulff seinen Rücktritt vom Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten - eine Voraussetzung dafür, dass er das Amt annehmen kann. "Ich nehme die Wahl außerordentlich gerne und aus Überzeugung an und freue mich auf die verantwortungsvolle Aufgabe", sagte Wulff vor der Bundesversammlung laut ARD. Er zollte ausdrücklich auch denjenigen Respekt, die ihn nicht gewählt hatten. "Ich bin überzeugt, dass es auch mit Ihnen zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit kommen wird." Für den fairen Wettbewerb um das Amt dankte Wulff vor allem seinem Mitbewerber Gauck. "Ich freue mich darüber, dass Ihr Wort weit über Deutschland hinaus auch weiterhin großes Gewicht haben wird", sagte Wulff zu Gauck.

SPD feiert sich selbst

Ihr Kandidat hat verloren, doch die SPD ist in Sektlaune. "Wann hat es das zuletzt gegeben, dass Hunderte Sozialdemokraten fröhlich und gut gelaunt über Stunden zusammenstehen?" Das sagt ein Mitglied der Führungsspitze, als sich am Mittwoch auf der Fraktionsebene im Reichstag die Wahlleute der SPD versammeln. Für die Sozialdemokraten ist es ein Fest, dass ihr gemeinsam mit den Grünen aufgestellter Präsidenten-Kandidat Joachim Gauck den Regierungskandidaten Christian Wulff in einen dritten Wahlgang zwingt. Das gibt Auftrieb: Der rot-grüne Schulterschluss ist gelungen, zugleich wurde die Linkspartei gezwungen, sich zu distanzieren. "Das ist ein echter Vitaminstoß", freut sich der schleswig-holsteinische SPD-Landeschef Ralf Stegner.

Nach seiner nervenaufreibenden Wahl will sich der neue deutsche Bundespräsident Christian Wulff an diesem Freitag mit Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) treffen. Auch mehrere ehemalige Bundestagspräsidenten sollen bei dem Gespräch dabei sein. Wulffs Vereidigung vor dem Deutschen Bundestag steht erst am Freitag an.

McAllister zum Regierungschef in Niedersachsen gewählt

Derweil ist David McAllister zum neuen Ministerpräsident von Niedersachsen gewählt worden. Der Landtag in Hannover wählte den 39-jährigen Deutsch-Schotten am Donnerstag zum Nachfolger von Wulff. Der bisherige CDU-Fraktionschef erhielt allerdings mit 80 Stimmen nicht die volle Unterstützung der schwarz-gelben Koalition, die 82 Abgeordnete stellt. Der gelernte Rechtsanwalt gehört dem Landesparlament seit 1998 an und führte seit 2003 die CDU-Fraktion.

"Aus Niederlagen lernen"

Wulff versprach, sich für die innere Einheit des Landes einsetzen. Mit Blick auf die drei Wahlgänge fügte er hinzu: "Aus Niederlagen habe ich eigentlich immer noch mehr gelernt als aus Siegen." Mit Blick auf den Verlauf der Wahl und seinen Gegenkandidaten Gauck bedankte sich Wulff für einen "sehr fairen Wettbewerb". Gauck forderte anschließend Politik und Bürger auf, stärker aufeinander zuzugehen.

Aus Sicht von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel "kommt es jetzt darauf an, dass die Regierung ihre Arbeit macht". Sie rechne nicht damit, dass die Regierungsarbeit schwieriger werde, sagte sie nach Wulffs Wahl.

CSU-Chef Horst Seehofer mahnte aber eine stärkere Führung in der Koalition an. Union und FDP dürften nach dem Verlauf der Wahl nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren, forderte der bayerische Ministerpräsident im Fernsehsender Phoenix. Daher müsse Schluss sein mit "den abstrakten Diskussionen". Gefragt seien jetzt vielmehr Führung und Entscheidungen.

Kritik an Linkspartei

Die Schuld für die Niederlage des rot-grünen Kandidaten gab SPD- Chef Sigmar Gabriel der Linkspartei, deren Wahlleute sich überwiegend enthalten hatten. Mit Blick auf deren Vorbehalte gegen Gauck als ersten Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde sagte Gabriel, sie habe sich nicht "von ihrem alten SED- und Stasi-Erbe" befreien können.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck sagte der "Frankfurter Rundschau", er fühle sich in seiner Skepsis gegenüber der Linken bestätigt: "Ein Sieg im Hinterzimmer ist denen wichtiger als eine personelle Weichenstellung von größter Bedeutung für die Bundesrepublik." (red/Reuters/APA, derStandard.at, 1.7.2010)