Wien - Schwere Mobbing-Vorwürfe gibt es rund um die anstehenden Personalentscheidungen im ORF. Die ORF-Gleichstellungsbeauftragte Monika Rupp wandte sich deshalb am Donnerstag in einem ungewöhnlichen Schritt via Aussendung an die Öffentlichkeit und beklagte die Diskriminierung von Kandidatinnen für die Leitung der TV-Magazine sowie von Ö1. "Bewerberinnen wurden ohne fundierte sachliche Grundlage öffentlich diskreditiert, a priori politisch etikettiert und somit mehrfach diskriminiert", so die Kritik Rupps.

"Kuhhandel"

Bei den namentlich nicht genannten Bewerberinnen handelt es sich offenbar um Lisa Totzauer, die als mögliche Nachfolgerin Johannes Fischers die Fernseh-Magazine übernehmen könnte, sowie die als Ö1-Chefin gehandelte Radio-Chefredakteurin Bettina Roither. Beide wurden in Medienberichten der vergangenen Tage der bürgerlichen "Reichshälfte" zugeordnet und als ÖVP-Wunsch im politischen Kuhhandel rund um ORF-Gesetz und ORF-Postenbesetzungen bezeichnet.

Bei Totzauer wurden darüber hinaus angeblich gute Kontakte zum Kaufmännischen Direktor Richard Grasl bzw. zum niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll ins Spiel gebracht. Berichtet wurde von Widerstand gegen Totzauer aus dem Kreis Magazinredakteure sowie von Informationsdirektor Elmar Oberhauser, der die anstehenden Personalentscheidungen gegenüber der Öffentlichkeit aber nicht kommentieren wollte.

"Eindeutig aus dem ORF 'gespielt'"

ORF-Kommunikationschef Pius Strobl hat unterdessen am Mittwoch dieser Woche die Gleichbestellungsbeauftragte per Mail um Einschreiten gebeten. Gegen Totzauer seien Medienberichte mit diffamierenden und diskreditierenden Unterstellungen erschienen, "die ganz eindeutig aus dem ORF 'gespielt' werden und die in ihrer inhaltlichen Bedeutung eindeutig als Mobbing zu sehen sind", heißt es in dem Mail. Der Kollegin werde fachliche Qualifikation abgesprochen, Nähe zu einer politischen Partei unterstellt und sie werde als "in der Wolle gefärbte Schwarze" denunziert. Gegenüber JournalistInnen würden weitreichende Folgen für den Fall einer Bestellung Totzauers angekündigt - "wohl mit dem Ziel, 'Angst und Schrecken' zu verbreiten und eine Bestellung zu 'verhindern'". Der ORF-Kommunikationschef schreibt weiters von einer "Mobbing-Kampagne" und fürchtet "bleibende Imageschäden".

Zurufe als entbehrlich erachtet

Rupps öffentlicher Rüffel folgte am Donnerstag. Dabei übte die Gleichstellungsbeauftragte des ORF indirekt Kritik am scheidenden Ö1-Chef Alfred Treiber und am bisherigen TV-Magazin-Chefredakteur Johannes Fischer. Treiber und Fischer hatten in Interviews klar Stellung für ihre Wunschnachfolger bezogen. Rupp: "Zurufe von - zum Teil ehemaligen - ORF-Entscheidungsträgern via einzelnen Printmedien im Interesse ihrer jeweiligen Kronprinzen erachten die Frauen im ORF überwiegend als mehr als entbehrlich. Sie beschädigen nicht nur massiv das Image einzelner Bewerberinnen, sondern auch einzelner Bewerber, die sich im Zuge standardisierter interner Hearings durchaus selbst präsentieren konnten und keiner Fürsprache ihrer bisherigen Mentoren bedürfen sollten."

Offene Diskussionen statt "Short Lists"

In der vergangenen Woche gab es für die Nachbesetzungen bei Ö1 und den Fernsehmagazinen interne Hearings. Nach Medienberichten wurde dabei für die Ö1-Leitung ein Dreier-Vorschlag mit Bettina Roither, Ulrike Wüstenhagen und Kurt Reisnegger erstellt, bei den Fernseh-Magazinen wurde kolportiert, dass es Totzauer nicht auf einen solchen Dreier-Vorschlag geschafft habe. Tatsächlich ist aus ORF-Kreisen zu hören, dass es nach den Hearings gar keine "Short Lists" gab, sondern lediglich offene Diskussionen über die fachliche Qualifizierung der BewerberInnen und darüber, wer am besten geeignet wäre.

Gleichbestellungsbeauftragte Rupp weist auch darauf hin, dass damit die auf einer Betriebsvereinbarung basierende Absicht konterkariert wurde, "abseits von Vorannahmen und damit verbundenen Vorurteilen - mit welchen sich gegenständlich vor allem hoch qualifizierte Frauen im ORF konfrontiert sehen - mittels Hearings den Boden für sachlich gerechtfertigte Personalentscheidungen gut aufzubereiten, indem Informationen bezüglich der Hearing-Ergebnisse in Form von Halbwahrheiten nach außen kolportiert und in der Folge verbreitet wurden". 

Sachlichkeit eingemahnt

Verallgemeinerung, Verzerrung und Vorverurteilung sollten intern wie extern durch differenzierte und sachlich fundierte Meinungsäußerungen ersetzt werden, so Rupps Appell. Speziell auf die persönliche Integrität unabhängiger ORF-Mitarbeiterinnen abzielende Diskreditierungsversuche entlarvten sich von selbst nach der Erkenntnis: "Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul."

Die aktuellen Auseinandersetzungen um Postenbesetzungen im ORF erinnern MedienbeobachterInnen an die Kontroversen um die Fernseh-Information im Jahr 2006. Im Vorfeld der Wahl des ORF-Generaldirektors und der Direktoren hatte es Mobbing-Vorwürfe gegen die damalige Führung gegeben, die in der Folge von einer Kommission untersucht wurden. (APA)