Dramatische Szenen unter dem Mikroskop: Der Fadenwurm Pristionchus pacificus hat den kleineren C. elegans an der Seite aufgerissen und frisst den auslaufenden Inhalt.

Foto: Andreas Weller/Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie

Tübingen - Das Nahrungsangebot bestimmt die Zahngröße: Biologen vom Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie haben dem nur einen Millimeter großen Fadenwurm Pristionchus pacificus in den Mund geschaut und den molekularen Steuerungsmechanismus hinter der Mundentwicklung entdeckt. Die Untersuchung ist in der aktuellen "Nature"-Ausgabe erschienen. Der Wurm entwickelt nur sehr kleine Zähne in einer schmalen Mundhöhle, wenn er mit reichlich Bakterien als Nahrung aufwächst. Erlebt er als Larve jedoch Nahrungsmangel oder eine hohe Populationsdichte, so entwickelt er einen breiten, mit kräftigen zahnartigen Dentikeln ausgestatteten Mund.

Breit- und schmalmundige Individuen unterscheiden sich genetisch nicht voneinander. "Vielmehr bestimmen Umweltfaktoren darüber, welche Mundwerkzeuge ein Fadenwurm ausbildet", erklärt Ralf Sommer. Bei Nahrungsmangel und bei Überbevölkerung - signalisiert durch eine hohe Pheromon-Konzentration - wird ein körpereigener Signalweg aktiviert, der zur Entwicklung von kräftigen Zähnen führt und damit ein räuberisches Verhalten ermöglicht.

Co-Option

Es zeigte sich, dass der verantwortliche Signalweg den Forschern bereits bekannt war: Das Hormon Dafachronic Acid und sein Rezeptor sorgen auch dafür, dass sich die Würmer in Mangelzeiten nicht zu erwachsenen Individuen weiterentwickeln, sondern in einem Dauerlarvenstadium verharren, bis sich die Umweltbedingungen wieder bessern. Dies zeige, wie sparsam die Evolution sei: Bereits etablierte Signalwege werden in neuem Kontext wiederverwendet – ein Vorgang, den Biologen als Co-Option bezeichnen. Um eine Signalkette mit neuer Bedeutung zu belegen, genügt es, sie zu einem anderen Zeitpunkt oder mit einer anderen Konzentration des auslösenden Signalmoleküls anzustoßen - wie in diesem Fall.

Ob die kräftigere Mundform von Pristionchus besser zur Jagd auf andere Würmer oder zum Verzehr von Pilzen ist, muss erst geklärt werden. Ein Vorteil ist jedenfalls anzunehmen: "Die Tatsache, dass sich der Mund-Dimorphismus im Verlauf der Evolution fest etabliert hat, lässt darauf schließen, dass er in freier Natur einen wichtigen Vorteil bietet", so Sommer. (red)