Blick ins Unsichtbare: Giorgio de Chiricos "Il trovatore".

Foto: Katalog

Piazza Santa Croce in Florenz: Reiseführer, Touristenscharen, Souvenirverkäufer und Einheimische sind sich gegenseitig im Weg und ersticken jeden Gedanken an Ruhe, an Konzentration auf die Architektur, im Keim.

1909 saß Giorgio de Chirico dort allein auf einer Bank, überwältigt von einer "Offenbarung", der Wirklichkeit hinter dem Gegebenen, den Blick ins Unsichtbare gerichtet. Die Ausstellung Uno sguardo nell'invisibile im Palazzo Strozzi ehrt den Schöpfer der metaphysischen Malerei und zeigt seinen Einfluss auf Künstler des 20. Jahrhunderts, etwa Max Ernst, René Magritte, Balthus.

Der damals 21-jährige malte seine rivelazione, seine Offenbarung. Das Bild L'enigma di un pomeriggio d'autunno zeigt, was der auf der griechischen Insel Volos geborene Italiener in etlichen Variationen wiederholen wird: einen bedrohlichen, leeren Raum, statueske Figuren, verschobene Perspektiven, symbolische Anspielungen.

De Chirico orientierte sich an deutschen Symbolisten und an Nietzsche, der für ihn und viele in seiner Nachfolge verbindlich bleiben sollte, doch der eigene Weg wurde immer wichtiger.

Die aus allen Teilen der Welt zusammengetragene Schau zeigt, wohin dieser Weg führte. Sie zitiert die "kopernikanische Wende", die de Chirico vollzog, als radikale Infragestellung einer einzigen Wirklichkeit. Über die Jahre stellte der Maler beunruhigende Zeichen über die nüchterne, physisch erfahrbare Welt.

De Chiricos Zeitgenossen, Dadaisten und Surrealisten nahmen, wie die Ausstellung zeigt, seine Anregung auf. Zu sehen sind auch Werke seines Bruders Roberto Savinio: Beiden gleich ist der Gestus, dass die Welt verschroben und nicht dechiffrierbar ist.

Magritte bringt mit seinen berühmten "falschen" Unterschriften (z. B. la Lune unter einem Schuh) die metaphysische Verunsicherung auf einen fast komischen semiotischen Punkt.

So gut wie alle gezeigten Arbeiten datieren aus der Zwischenkriegszeit. In den Dreißigerjahren wandte sich de Chirico von seinem eigenen Werk ab - die Zeitgenossen, die sich bis dahin von ihm inspirieren ließen, überlebte er aber fast alle. Er starb 90-jährig in Rom.

In der Dependance Strozzina im Untergeschoß dokumentiert die Schau As soon as possible die Beschleunigung in der gegenwärtigen Gesellschaft. Das reicht vom immer schnelleren Schleudersitz bis zu seinem künstlerischen Gegenteil: die Seidenfäden, die Jens Risch in jahrelanger Arbeit zu gerade mal apfelgroßen Skulpturen verknotet. (Michael Freund aus Florenz/ DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2010)