Mindestens 100 Jahre alt werden, bei einigermaßen guter Gesundheit - wer möchte das nicht? Das Streben nach einem langen Leben eint Menschen rund um den Globus. Ein Wunschtraum, der offenbar die Fantasie anregt. Es kursieren immer wieder Geschichten über angebliche Wundermittel, doch ob Joghurt aus dem Kaukasus, ecuadorianisches Quellwasser oder obskure Pilze: Wirklich wirksam ist davon wohl gar nichts.

Fundierter scheint dagegen die Vermutung zu sein, dass es genetische Veranlagungen für das Erreichen eines biblischen Alters gibt. Seit Jahren häufen sich wissenschaftliche Hinweise auf die Existenz von vererbbaren Faktoren. Die Nachkommen von Hundertjährigen haben demnach gesteigerte Chancen, auch ihren hundertsten Geburtstag zu feiern. Steckt die Lebenserwartung also tatsächlich in den Genen?

Ein Forschungsteam der Boston University in den USA ist der Sache nun auf den Grund gegangen. Die Experten untersuchten das Genom von insgesamt 1055 mindestens 100-jährigen Menschen hinsichtlich der Häufigkeit von genau erkennbaren SNPs, "single nucleotide polymorphisms", Variationen von einzelnen Bausteinen der DNA. Auf Basis dieser Daten erstellten sie ein Modell zur Prognose der Lebenserwartung - mit bemerkenswerter Präzision.

Unter Berücksichtigung von 150 unterschiedlichen SNPs können die Bostoner Wissenschafter die Wahrscheinlichkeit des Erreichens eines sehr hohen Alters von 90 Jahren oder mehr mit einer Genauigkeit von 77 Prozent vorhersagen. Zusätzlich wurden 19 unterschiedliche genetische Kombinationsmuster identifiziert, die bei Hundertjährigen besonders häufig auftreten. "Der Beitrag der Gene scheint immer wichtiger zu werden, je älter man wird", erklärt Studienleiter Thomas Perls; die Ergebnisse der Studie wurden gerade in Science online veröffentlicht.

Überraschenderweise scheint eine außergewöhnlich hohe Lebenserwartung nicht so sehr vom Fehlen von Gencodes, die häufig in Verbindung mit Krankheiten auftreten, abhängig zu sein. Solche fanden sich durchaus auch bei Hundertjährigen. Stattdessen dürfte - als positiver Faktor - das Vorhandensein anderer Sequenzen entscheidend sein.

Besonders auffällig ist diesbezüglich ein SNP mit der Bezeichnung rs1455311. Wenn es bei einer Person in der seltenen GG-Variante vorliegt, ist dessen Chance auf ein sehr langes Leben im Vergleich zu anderen fast doppelt so groß. Es ist an der Synthese bestimmter Eiweißstoffe beteiligt. "Wir haben aber absolut keine Ahnung, wie diese Proteine das Altern und die Lebensdauer beeinflussen", sagt Thomas Perls.

Das gilt auch für viele andere Sequenzen. Zu wissen, welche Genvarianten bei Hundertjährigen oft auftreten, bedeutet noch lange nicht, das biologische Geheimnis eines langen Lebens zu verstehen. In den meisten Fällen dürfte eine Vielzahl von Faktoren zusammenspielen.

Wahrscheinlich hätten viel mehr Menschen die Fähigkeit, ein hohes Alter zu erreichen, wenn sie gesünder lebten, meint Thomas Perls. "Die meisten von uns sollten zumindest in der Lage sein, die 88 zu erreichen." Doch dafür müssten wir weniger Fleisch essen, nicht rauchen, uns mehr bewegen - eigentlich alles schon längst bekannt. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. Juli 2010)