Bild nicht mehr verfügbar.






Betörender Klagegesang bei einer Beerdigung im Blumenmeer: Elisabeth Kulman (Orpheus) weint um ihre Eurydike.


Foto: APA

Regisseur Dieter Dorn sorgte immerhin auch für unterhaltsame Momente.

***

Salzburg - Bildende Kunst wird ja in diesem Salzburger Festspielsommer prestigeträchtig auf die Opernbühne gehievt, zumal keine Geringeren als Daniel Richter (für Bergs Lulu) und Jonathan Meese (für Rihms Dionysos) als musiktheatralische Bebilderer aktiv werden durften. In gar nicht so unwesentlicher Weise ist ein grafisches Element auch in einen weiteren Opernschauplatz eingedrungen: Bei Christoph Willibald Glucks Orfeo ed Euridice konfrontiert Ausstatter Jürgen Rose den klaren Rahmen der geometrisch vertieften Guckkastenbühne mit einem Geflecht freihändig hingeworfener Linien.

Auch im zweiten Akt kehren die Unregelmäßigkeiten wieder, wenn ein Kaleidoskop fragmentarischer Spiegel die armen Seelen der Unterwelt vervielfacht. Damit kommt subtil, aber doch ein chaotisches Element ins Spiel, welches das klassische Ebenmaß durchdringt und infrage stellt. Dieser Rahmen findet allerdings in Musik und Szene kaum Widerhall. Denn Riccardo Muti - und das ist wirklich keine Überraschung - huldigt am Pult der Wiener Philharmoniker dem Prinzip größtmöglichen Schönklangs.

Allerdings wäre der Vorwurf ungerecht, dass der Maestro ganz beim stilistischen Ideal eines Karajan stehengeblieben sei. Bei aller klanglichen Wärme und Weichheit, die dem Dirigenten und dem Orchester erst einmal jemand nachmachen muss, wurde mitunter auch ein etwas entschlackter Ton eingebracht. Natürlich ließ Muti die Musik mehr malen als zeichnen, doch verließ er zuweilen das hochkultivierte Einheitslegato zugunsten artikulierter Seufzerfiguren.

Widerhäkchen im Lethefluss

Abgesehen von der hörbaren Überraschung einiger Musiker, als die Premiere am Samstag im Großen Festspielhaus tatsächlich losging, sorgte Muti also durchaus für kleine musikalische Widerhäkchen im allzu glatten Lethefluss, wenn er etwa den Dialog zwischen Orpheus und dem Chor der Unterwelt dramatisch zuspitzte oder - leider nur in der Ouvertüre - mächtig angerissene Akkorde federnd zurücknehmen ließ.

Dass die meist breiten Tempi das Singen erschwert hätten, ließ sich währenddessen nicht feststellen. Genia Kühmeier verband als Eurydike ebenmäßige Helligkeit und Volumen mit geschmeidiger Phrasierung, Christiane Karg schlug sich als lebhafter Amor ebenso tapfer wie der exzellent vorbereitete Staatsopernchor.

Vor allem aber betörte Elisabeth Kulman als Orpheus mit ihrem fast männlich abgedunkelten Mezzo, aber auch mit müheloser Höhe - und mit einer Innerlichkeit, die Sanftheit und Wärme eher in den Vordergrund stellte als gequälte Verzweiflung. Freilich hinderte sie diese wohl auch dem ästhetischen Zugang Mutis geschuldete Entscheidung keineswegs, kraftvoll nach ihrer Eurydike zu rufen - trotz der bühnenbildbedingt schwierigen Akustik, wenn sich die Sängerinnen nicht gerade an der Rampe aufhielten.

Atmosphäre, Kitsch, Komik

Dies taten sie allerdings in der Inszenierung von Dieter Dorn ohnehin oft genug, in der es mehr um Atmosphäre als um Psychologie geht. An der Kitschgrenze angesiedelt ist das anfängliche Liebesglück des Paares ebenso wie der Reigen seliger Geister in der Unterwelt, wenn diese schlicht über eine himmelblaue Fläche flanieren. Bewusst schematisch gehalten erscheinen sowohl die Sphären Himmel und Hölle - Orpheus steigt über eine Leiter in den Hades hinab - als auch die regungslosen Götter, die über das Geschehen wachen und buchstäblich auf einem szenischen Tablett serviert werden.

Ob beabsichtigt oder nicht, es gibt auch komische Szenen, wenn Orpheus seine Eurydike hastig an der Hand packt, um mit ihr zu fliehen, und die beiden schier endlos über die Drehbühne eilen. Eurydikes Verschwinden in der Versenkung streift beim zweiten Mal in einem Déjà-vu ihres Todes vom Beginn mehr ans Lächerliche als ans Erhabene. Szenisch gut gelöst wurde allerdings die ausgedehnte finale Ballettmusik mit der Darstellung des Beziehungsalltags etlicher Paare, deren Streitereien Dorn wiederum Situationskomik abgewinnt - auch wenn hier überzeugender agiert werden könnte.

Doch schlägt die Regie an dieser Stelle auch einen sinnigen Bogen über das Werk: Die Blumen, die einander weniger überreicht als an den Kopf geworfen werden, ergeben schließlich ein ähnliches Bild wie jenes der anfänglichen Beerdigungsszene. Für die pausenlosen 100 Minuten gab es einhellige Zustimmung. Begeisterung sieht freilich anders aus. (Daniel Ender, DER STANDARD/Printausgabe, 01.08.2010)