Ein schlechter Schüler, aber ein begabter Nachwuchs-Imker: Semih Kaplanoglus Spielfilm "Honig" dringt in die magische Welt des siebenjährigen Yusuf (Bora Altas) vor.

Foto: Stadtkino

Wien - Ein Mann befestigt mitten im Wald ein Seil an einem Baum und zieht sich daran, die Beine am mächtigen Stamm abstützend, langsam hoch. Um ihn herum die Stille der Natur, der dichte Klangteppich eines von der Zivilisation unberührten, fast magischen Ortes. Umso heftiger dringt dann das Geräusch eines brechendes Astes ans Ohr. Ein heftiger Ruck, das Seil spannt sich, und der Mann hängt in der Waagrechten fest, meterweit vom Boden entfernt. Es ist die erste Szene des Films, die ein entscheidendes Ereignis vorwegnimmt und es zugleich in der Schwebe hält.

Erst im letzten Drittel von Honig (Bal) wird sich der Ausgang der Situation klären. Bis dahin weiß man längst, dass der Mann am Baum Yakup (Erdal Besikçioglu) heißt und der Vater des siebenjährigen Jungen Yusuf (Bora Altas) ist, dem zentralen Protagonisten des Films. Yakup ist Bienenzüchter in einer abgelegenen Bergregion der Türkei. Die Besonderheit daran ist, dass er die Bienenstöcke hoch oben, in den Wipfeln der Bäume, anlegt. Das macht seine Arbeit, bei der ihm Yusuf so gern aushilft, zu einer ziemlich gefährlichen Angelegenheit.

Der türkische Regisseur Semih Kaplanoglu wurde für Honig im Februar auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Das war in gewisser Weise auch ein Preis für ein größeres Projekt, denn der Film ist der Abschluss der sogenannten Yusuf-Trilogie, die noch Ei (Yumurta) und Milch (Süt) umfasst. Der Protagonist wird darin in immer jüngerem Alter (als Erwachsener, als junger Mann und nun als Kind) dargestellt - auf diese Weise ergibt sich ausschnitthaft ein Panorama, in dem sich ein Mann seiner Herkunft vom Lande und damit seiner Identität vergewissert.

Im Einklang mit der Natur

Die Zerrissenheit zwischen Tradition und Moderne, klassisch patriarchalen und jüngeren, weicheren Rollenbildern beschäftigen Kaplanoglu - Gegensätze, die die Türkei auch insgesamt bestimmen. Behandelt werden sie allerdings weniger als grobe Thesen denn als verdichtete, oft ins Symbolische neigende Bilder eines lyrischen Realismus. In Einstellungen von größerer Dauer, die vom Zuschauer ein gewisses Maß an Kontemplationswillen einfordern, dringen die Filme in die subjektive Welt von Yusuf vor. In Honig teilt man dann das Geborgensein eines Kindes, das seine Umgebung mit einer Art tastendem Auge betrachtet. Nicht zuletzt durch den Sound erweckt Kaplanoglu den Eindruck, dass Yusuf in Einklang mit seinem Umfeld steht.

Die Figur des Vaters dient dabei als ein Vermittler. Die beiden sprechen nur im Flüsterton miteinander, bevorzugt über Vorkommnisse der Naturwelt, sie geben sich zudem kleineren Fantastereien hin. Ihre Nähe ist wie eine Parallelwelt, die notgedrungen andere, selbst Yusufs Mutter Zehra (Tülin Özen) etwas ausschließt. Im Wald haben sie einen privilegierten Ort, einen mystischen Raum, in dem Probleme dieser ländlichen Existenz - etwa das allmähliche Verschwinden der Bienen - ausgeblendet werden.

Paradiese enden immer mit einem Rausschmiss. Honig hat dafür keine moralische Lesart parat, sondern eher das Bild einer zyklischen Ablöse. In der Schule ist Yusuf ein Außenseiter, weil er nicht lesen kann. Die Wörter wollen ihm nicht über die Lippen kommen, vielleicht weil er die besten Geschichten schon auswendig kennt. Die Schrift und alles, was mit ihr zusammenhängt, verdrängt die Direktheit der Bilder, die Geheimnisse der Dingwelt. Der Film hingegen will sie noch einmal beschwören.

Ein bildermächtiger Regisseur wie Semih Kaplanoglu weiß, mit welchen Mitteln er sein Drama um den Verlust eines behüteten Raums transzendiert - besonders schön ist jenes eigentlich sehr simple Bild, in dem Yusuf den Mond auf der Wasseroberfläche eines Kübels bemerkt, ihn mit ein paar Schwingungen zum Verschwinden bringt und dann zusieht, wie er wiederkehrt. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD - Printausgabe, 2. September 2010)