Angewittert in mehrerer Hinsicht: der Zugang in das Teatr Zydowski

Foto: Teatr Zydowski/ Wikimedia / Rudzki

Polens Theaterkritiker machen normalerweise einen weiten Bogen um das Esther Rachel und Ida Kamiñska Theater in Warschau. Zwar kursieren seit Jahren vernichtende Kritiken über den "Folklore-Schund" im Jüdischen Theater, doch kaum jemand veröffentlichte sie in einer angesehenen Zeitung. Niemand wollte sich dem Risiko aussetzen, womöglich als Antisemit gebrandmarkt zu werden oder als Neider innerhalb der kleinen jüdischen Gemeinschaft Polens zu gelten.

Nun aber hat Joanna Derkaczew, eine der renommiertesten Theaterkritikerinnen Polens, das heikle Thema angepackt: "Der Niedergang des Jüdischen", titelt Polens größte Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Nicht nur die Zuschauer und Kritiker fänden kaum ein positives Wort über den sentimentalen Schtetl-Klamauk am Jüdischen Theater, selbst die Schauspieler kritisierten ihr Haus als "furchtbares Museum".

Das Theater wird seit 1969 von Szymon Szurmej und seiner Frau Golda Tencer geleitet. 1968 war die Gründerin des Theaters, Ida Kamiñska, aufgrund der antisemitischen Stimmung in Polen nach Israel emigriert. Mit ihr zog fast das gesamte Ensemble, die berühmte "Kamiñska-Truppe". Als die antisemitische Hetzkampagne weltweit verdammt wurde, entschloss sich die Kommunistische Partei, das Jüdische Theater in Warschau offiziell weiterzubetreiben - als Alibi: "Seht her, in Polen gibt es ein staatlich betriebenes jüdisches Theater!" Fast alle anderen jüdischen Institutionen wurden 1968 geschlossen und zerstört. 30.000 Juden verließen damals Polen.

Schauspieler, die das Jiddische als Muttersprache beherrschten, gab es immer weniger. So entstand eine Schauspielschule beim Warschauer Jüdischen Theater, in der junge Schauspieladepten vor allem Jiddisch lernten. Allerdings für ein Publikum, das kein Jiddisch verstand und die Aufführungen per Kopfhörer verfolgen musste. Die monoton vorgetragenen Übersetzungen schreckten die letzten Zuschauer ab. Schließlich wurden Schulklassen aus ganz Polen ins Jüdische Theater geschickt, um eine Eindruck von "jüdischer Kultur" zu bekommen.

Folklore auf Polnisch

Von Zeit zu Zeit lockten aber auch Liederabende und klassische Musicals Zuschauer an. Ab 1989 wurden jiddische Folklore-Stücke in polnischer Sprache aufgeführt. "Niemand erwartet, dass das Jüdische Theater jungen Künstlern die Bühne öffnet, um dort beispielsweise ein Avantgarde-Stück wie The Bubble von Eytan Fox über homoerotische Liebe vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts aufzuführen", schreibt Joanna Derkaczew. Dies wagte unlängst das Dramatische Theater Warschau. "Aber warum finden sich im Repertoire keine zeitgenössische Dramen, wie beispielsweise die des israelischen Autors Hanoch Levin?", fragt die Gazeta Wyborcza. Dessen Stück Krum hat im Alten Theater in Krakau und dem Teatr Rozmaitosci in Warschau Triumphe gefeiert.

Jüdische Hochkultur finde auf anderen Bühnen in Polen statt. Ob demnächst ein frischer Wind durch das Teatr Zydowski bläst, entscheidet Warschaus oberster Kulturmanager Marek Kraszewski. Der 87-jährige Szymon Szurmej geht demnächst in den Ruhestand. Zuschauer, Theaterkritiker und Schauspieler wünschen sich gleichermaßen einen radikalen Neuanfang. (Gabriele Lesser, DER STANDARD - Printausgabe, 2. September 2010)