Bild nicht mehr verfügbar.

Aus voller Kehle schreien die Demonstranten den Milizionären ihre Losungen entgegen: "Freiheit, Freiheit!" und "Russland ohne Putin!"

Foto: Reuters/Mikhail Voskresensky

Lange kann Wladimir Beljajew sein Schild mit der Aufschrift "FSB=Mafia" nicht in die Höhe halten. Nach den ersten Schritten stürmen zwei Milizionäre auf ihn zu und verfrachten den Mann, der den Geheimdienst kritisiert hat, in einen Milizbus. "Freiheit, Freiheit", skandieren die Aktivisten auf dem Triumphplatz in Moskau, von denen viele an ihrer Kleidung Anstecker mit der Zahl 31 angebracht haben.

Wie an jedem 31. eines Monats demonstrieren die Bürgerrechtler für die Versammlungsfreiheit, die im 31. Artikel der russischen Verfassung festgeschrieben steht. Zum zehnten Mal haben die Aktivisten ihre Veranstaltung bei den Moskauer Behörden angemeldet, zum zehnten Mal wird die Versammlung verboten. Auch diesmal nimmt die Polizei rund 100 Demonstranten fest.

Das Gedränge und Geschubse wird stärker. Rund 400 Regimegegner drängen sich auf dem seit einer Woche gesperrten Platz. Die Stadt Moskau möchte den Treffpunkt der Opposition in eine Garage verwandeln.

Null Toleranz gegenüber Demonstranten lautet die Losung der Behörden. Am Vortag hatte Premier Wladimir Putin in einem Interview mit dem Kommersant gesagt, wer an einer unerlaubten Demonstration teilnehme, müsse damit rechnen, "eins auf die Rübe zu bekommen". Und die Miliz hält sich an die Vorgabe. Einige Jugendliche, die "Das ist unsere Stadt" rufen, werden von den Beamten schnell brutal weggezerrt.

"Das ist eine unglaubliche Art, mit der Demokratie umzugehen. Schockierend", sagte der die Versammlung besuchende EU-Abgeordnete Thijs Berman zu Associated Press. Es sei enttäuschend zu sehen, wie ein Land, das sich als globaler Akteur profilieren will, nicht einmal einige Andersdenkende toleriert, pflichtete Heidi Hautala, Chefin des EU-Menschenrechtsausschusses, bei.

"Sehr geehrte Bürger. Die Durchführung dieses Treffens ist nicht mit der ausführenden Gewalt vereinbart. Ihre Handlung ist ungesetzlich", sprechen die Milizionäre monoton in ihre Megafone. Die Demonstranten halten dagegen: "Sie kennen anscheinend den 31. Artikel unserer Verfassung nicht. Ihre Handlung ist doch die ungesetzliche."

Den Bürgerrechtlern geht es schon lange nicht mehr nur um ihr Recht auf Versammlungsfreiheit. Ihr Ziel sei es, Russland von Putin zu befreien, sagt Pensionistin Galina, die den Premier abwertend "Liliputin" nennt. Die Verhafteten rufen noch aus den vergitterten Fenstern des Milizbusses, der eine Einkaufsstraße entlangfährt: "Russland ohne Putin!"

"Natürlich haben wir Angst", sagt die Rentnerin Schanna. "Immerhin hat Putin gesagt, dass es in Ordnung ist, uns zu schlagen." Aber solange die Unzufriedenheit mit der derzeitigen Führung so groß ist, wird Schanna wieder auf den Triumphplatz kommen. (Verena Diethelm aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2010)