Kettly Mars:  "Fado" (Mercure de France)

Foto: Mercure de France

In den vergangenen Monaten hat das Salzburger Literaturhaus häufiger den Blick in die Karibik, nach Haiti, gerichtet. Vor einem Jahr präsentierte Georges Anglade Das Lachen Haitis. Neunzig Miniaturen, im Juni gastierte Landsmann Louis-Philippe Dalembert mit seinem Roman Jenseits der See an der Salzach.

Im Jänner wurde der ohnehin seit Jahrzehnten von Diktaturen, Voodoo-Todesschwadronen, politischen und sozialen Unruhen sowie extremer Armut gebeutelte Inselstaat bekanntlich auch noch von einem verheerenden Erdbeben erschüttert. Unter den etwa 500.000 Todesopfern befanden sich auch Anglade und dessen Frau Mireille.

Am Montag kommt mit der Schriftstellerin Kettly Mars jetzt eine Überlebende dieser Naturkatastrophe nach Salzburg, um ihren Roman Fado vorzustellen. Der ist genau wie die Werke von Dalembert und Anglade auf Deutsch im Litradukt-Verlag erschienen. Kettly Mars, 1958 in gutbürgerlichen Verhältnissen in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince geboren, hat keine Scheu, gesellschaftliche Tabuthemen aufzugreifen: Scheinheiligkeit und Widersprüche einer Gesellschaft, in der Gewalt und Armut allgegenwärtig sind.

Dennoch will Kettly Mars ihre Wurzeln nicht verleugnen. Was diese Haltung noch brisanter macht, ist, dass Mars aus der Position einer Frau heraus schreibt, die sich selbst als "poète intimiste", eine "Dichterin der intimen Details" bezeichnet. In Fado erzählt die Autorin von der 40-jährigen Anaïse, die kein Kind bekommen kann. Deshalb hat sie ihr Mann verlassen, kurz danach ist dessen junge Geliebte bereits schwanger.

Für Anaïse Anlass zu radikalem Wandel: Sie verkauft ihren Körper in der Unterwelt von Port-au-Prince, um ihre verdrängten Wünsche zu entdecken. Ein sinnliches, provozierendes Porträt einer verliebten Frau, verfasst im Rhythmus des Fado, der die Bewegung von Handlung und Sprache bestimmt - und die Grenzen zwischen Vernunft und Wahnsinn, Leben und Tod aufhebt. Am Montag einziger Österreich-Termin mit Lesung und Gespräch. (dog/ DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.10.2010)