Arbeiten an der Vernetzung jedweder Studentenbude mit der Welt da draußen: Mark Zuckerberg (Jesse Eisenberg, li.) und ein Kommilitone (Joseph Mazzello) in David Finchers "The Social Network"

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Der große Gründer Mark Zuckerberg bleibt darin eine unergründbare Figur.

Wien - Seit es das Internet gibt, gibt es das stille Kämmerlein nicht mehr. Wer sich heute zurückzieht, ist in der Regel immer noch angeschlossen an die Welt da draußen. Man kann sich unter falschem Namen in einen Chat einloggen, anonym über die Exfreundin posten, heimlich auf Seiten surfen, auf denen Menschen Geheimnisse preisgeben. Drinnen und Draußen sind nicht mehr so leicht unterscheidbar. Während der Philosoph Pascal noch dachte, das Verweilen in den eigenen vier Wänden diene der Stärkung der Persönlichkeit, produzieren Stubenhocker heute oft "bullshit from a darkroom" .

Diese Formulierung fällt irgendwann in David Finchers The Social Network, in dem die Ur- und Frühgeschichte des digitalen sozialen Netzwerks Facebook erzählt wird. Heute zählt es mehr als 500 Millionen Teilnehmende und präsentiert am perfektesten, was das WWW kann: potenziell alle Menschen miteinander zu verweben - ohne die umständlichen "six degrees of separation" , die in der alten Welt galten: Man kennt jemanden, der kennt jemanden, die kennt - holla, die kennt fast schon die Yogalehrerin von Tom Cruise.

Facebook ist eine in den technologischen Innenraum gestülpte globale Öffentlichkeit, eine gigantische Agora mit Myriaden von Trennwänden: Letztlich lebt jeder Teilnehmer doch in seiner Welt. Die Anzahl der Freunde definiert deren Grenzen - ist das eine Einlösung dessen, was der späte Wittgenstein über den frühen hinaus gesucht hat?

Es hilft, die abendländische Geschichte der Privatheit und des Realitätszweifels im Hinterkopf zu haben, wenn man den Film sieht. Denn er suggeriert: Hier wird die Entstehung einer neuen Gemeinschaftsform als Start-up erzählt. Wie in der frühen Neuzeit aus Konfessionskriegen die ersten halbwegs stabilen modernen Nationalstaaten hervorgingen, entsteht auch das Unternehmen, das Privatheit auflöst und Wirklichkeiten ersetzt, im Streit.

Facebook gründet auf einer Geschichte von Gehässigkeit, Verrat, Manipulation. Drehbuchautor Aaron Sorkin beruft sich vorwiegend auf das Buch The Accidental Billionaires von Ben Mezrich, in dem erzählt wird, wie neben Mark Zuckerberg, dem Gründer von Facebook, im Lauf der Zeit ein paar Leute auf der Strecke blieben, die mit ihm gearbeitet haben oder glaubten, er arbeite für sie. Dies vor dem Hintergrund der alten Welt der Eliteuniversität Harvard, "a world where social code is everything" .

So wie Sorkin und Fincher die Sache zuspitzen, geht es bei Facebook um die Ablösung dieser alten Ordnung. Dass dabei niedere Motive die Hauptrolle spielen, ist so etwas wie die Ursünde der neuen Gemeinschaft - sie gründet auf dem Ressentiment eines, der zu kurz gekommen ist. Und weil Zuckerberg nicht in die elitären Clubs an seiner Schule hineinfand, schuf er eben einen Superclub, der quasi massenelitär ist - weltumspannend, aber gegründet auf ein Ausschlusskriterium, das den digitalen Code sozial reproduziert: 0/1, ja/nein.

Historischer Studentenstreich

Dass der wirkliche Mark Zuckerberg nun angeblich über den Film gekränkt ist, ist eine Randnotiz, die schlüssig ins Bild passt. Denn Sorkin und Fincher erzählen The Social Network im Grunde zweimal: Einmal konventionell als Studentenstreich, der zum Milliardenunternehmen wurde, einmal als modernistische Untersuchung einer historischen Gestalt, der dieses Format fehlt.

Wie Jesse Eisenberg diesen Mark Zuckerberg als "Mini-Me" eines Charles Foster Kane spielt, das ist ein echtes Ereignis - er macht aus dem großen Gründer eine unlesbare Figur, unlesbar für sich selbst und für seine Umwelt (und am Ende auch für den wirklichen Mark Zuckerberg?). Ein unentzifferbares Gesicht in der Menge. Das Mitglied Nummer null der kommenden Weltgemeinschaft. (Bert Rebhandl/ DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.10.2010)