Fabrice Mazliah und Christopher Roman in "I don't believe in outer space"

Foto: Dominik Mentzos

Graz - Es passt perfekt in die Krisenzeit. Ausgerechnet Gloria Gaynors Disco-Heuler "I will survive" von 1978 zerlegt der weltweit avancierteste Ballettchoreograf William Forsythe in "I don't believe in Outer Space". Das vor zwei Jahren uraufgeführte Stück wurde nun beim Steirischen Herbst in der Helmut-List-Halle erstmals auch einem österreichischen Publikum gezeigt.

"Zerlegen" ist ein unzureichender Ausdruck. Forsythes 16-köpfige Truppe macht aus der sentimentalen Blase dieses Survival-Schlagers einen szenischen Schaum aus wüsten Texten, Situationskomik und grotesken Aufsplitterungen von Gesten. Die Musik von Thom Willems ist eine feingeschliffene, zum Teil aggressive Umschiffung des Ohrwurms, dessen Trümmer sich in den von Dana Caspersen virtuos vorgetragenen Texten wiederfinden. Aus diesem Spiel wächst etwas Anderes, und dieses zeigt sich in schwarzen Bällen aus Klebeband, die über den ebenfalls schwarzen Bühnenboden verteilt sind.

Hier ist der Tanzboden jene dunkle Materie, aus der der Großteil des Weltraums bestehen soll, und die Bälle erscheinen wie ein Bläschen aus Schwarzen Löchern, mit denen metaphorisch gespielt werden kann wie mit den Bedeutungen von Worten und Gesten. Wie mit den Hervorbringungen der mit um ihr Überleben tanzenden Menschen, die gar nicht glauben können, dass es einen Raum da draußen gibt, dessen Zufallsprodukt sie sind.

Kulturelle Selbstorganisation

Alle wissen, dass die Behauptung "I will survive" unrealistisch ist. Aber im biografischen Ablauf macht sie durchaus Sinn, zumindest therapeutisch gesehen. So etwa ist die Grundstimmung in dem Stück. Das Menschsein selbst erscheint wie eine Virtuosität, und seine Überlebensspiele passieren in einem Innenraum: dem seiner kulturellen Selbstorganisation als Gesellschaft. Alles außerhalb ist unfassbar und faszinierend. Vor allem, weil sich dieser Außenraum auch in die komplexen Umstände des Menschseins einspiegelt, die sich wissenschaftlich, philosophisch oder künstlerisch vermessen lassen. Und das Vermessen ist offenbar ein unabschließbares Projekt.

In "I don't believe in Outer Space" wird beides zueinander in Bezug gesetzt: der Versuch des Vermessens und die Vermessenheit der Versuchung, das Ganze zu verstehen. In dieser Verbindungsarbeit werden Symbole, Tricks, Metaphern und ein virtuoses Sichhinwegsetzen über das Ungreifbare angewandt. Am linken Rand der großen Bühne befindet sich ein kleiner, vollgemüllter Nebenschauplatz: eine Sperrholzkaverne mit allerlei Bildern, Objekten und Gestellen. Ein selten angeleuchtetes, kaum benutztes Draußen. Ein implodiertes Archiv oder ein unordentliches Lager, das aussieht wie das chaotische Alltagswissen, mit dem man/frau sich durch sein/ihr unübersichtliches Leben bastelt.

In diesem Punkt schneidet sich Forsythes Arbeit mit einem zweiten Stück, das beim Steirischen Herbst gerade als Late-Night-Programm gezeigt wurde. Der Performer Gaëtan Bulourde und der Musiker Olivier Toulemonde bespielten eine Holzkaverne, in der sie eine Idee aus dem Archiv des Fluxus demonstrierten: den Vorschlag eines "Prinzips der Äquvalenz" (1968) des großen französischen Künstlers Robert Filliou.

Unter dem Titel "Not every object used to nail is a hammer" machten Bulourde und Toulemonde Fillious subversive Mathematik anschaulich: gut gemacht+schlecht gemacht+nicht gemacht=gut gemacht. Diese Gleichung kann unendlich wiederholt werden und erzeugt so eine Fraktale, ein Modell der Selbstähnlichkeit, die ja beinahe alles, was uns umgibt, bestimmt.

Das Ziel dieses Äquivalenzprinzips ist eine Verschiebung der linearen kapitalistischen Leistungslogik. Schon 1966 wollte Filliou die Weltwirtschaft aus der Politik in die Poesie und die Arbeit aus dem Leiden in ein Spiel übertragen. Dorthin also, wo die Kreativität wohnt. Bulourde und Toulemonde stellten mit Brettern, Nägeln und Hämmern eine Bricolage-Choreografie aus Handlungen, Sounds und Worten her.

Sozusagen das Lehr-Modell eines künstlerischen Ideenraums, wie ihn die Gesellschaft hoffentlich bald zu nutzen versteht. (Helmut Ploebst / DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.10.2010)