Der "heilige Mercer", ätzen Wiener Oppositionspolitiker, werde von den Rathaus-Roten herbeizitiert, sobald sich jemand getraue, auch nur die leiseste Kritik an der Stadt zu äußern. Tatsächlich kramen SP-Politiker die Mercer-Studie, die Wien 2009 und 2010 die beste Lebensqualität weltweit bescheinigte, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit hervor. Sie hat freilich ein Manko: Befragt wurden für die Studie nicht Wiener, sondern Mitarbeiter ausländischer Firmen, die Wien auf Kosten ihres Unternehmens genießen können.

Dennoch dürfte Platz eins im Mercer-Ranking in der Logik der SP bedeuten, dass sich ein Wahlversprechen von 2005 erfüllt hat: "Wählen wir Lebensqualität - Wählen wir Wien" plakatierten die Sozialdemokraten; andere rote Ansagen waren ähnlich schwammig. der Standard versucht dennoch den Realitycheck: Welche Versprechen hat die Wiener SP in den letzten fünf Jahren eingelöst?

Der Kindergartenknüller 

"Wählen wir Beruf und Familie", lautete 2005 ein SP-Plakatslogan. Vier Jahre hat es gedauert, bis Michael Häupl bei der Klubklausur im burgenländischen Rust den großen Coup verkünden konnte: Den begeisterten Delegierten teilte der Bürgermeister im Februar 2009 mit, dass die Kindergärten in Wien künftig für alle Null- bis Sechsjährigen gratis sein würden.

Dass damit eine langjährige Forderung der Opposition erfüllt wurde, war ab diesem Zeitpunkt kein Thema mehr. Dabei hatte die VP im Wahlkampf 2005 noch plakatiert, dass Wien die teuersten Kindergärten in ganz Österreich habe. Bis dahin hatten die Sozialdemokraten stets damit argumentiert, dass das gestaffelte System in Wien sozial gerecht sei.

Vom Gratiskindergarten für ausnahmslos alle kann übrigens keine Rede sein: Für jeden vierten Kindergartenplatz muss weiterhin bezahlt werden, was Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch (SP) mit zusätzlichem Angebot wie Fremdsprachen oder besonderen pädagogischen Konzepten begründet. Das bildungspolitische Prestigeprojekt kostete die Stadt allein im vergangenen Schuljahr 100 Millionen Euro.

Den flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen ließ sich die Bügermeisterpartei schließlich bei der Volksbefragung im Februar absegnen. Mehr als 68 Prozent der Wiener - bei gut 35 Prozent Wahlbeteiligung - sprachen sich dafür aus. Das flächendeckende Angebot (mindestens eine Schule pro Bezirk) soll bis 2017 realisiert sein. Derzeit werden in Wien 29 Pflichtschulen und drei AHS-Unterstufen ganztägig geführt.

Neue Jobs wurden den Wienern 2005 ebenfalls versprochen. Auch wenn Experten bezweifeln, dass der Einfluss der Politik auf die Wirtschaftsentwicklung allzu groß ist, ein Vergleich: Die Arbeitslosenquote lag im Juni 2005 in Wien bei 9,2 Prozent, im Vergleichsmonat dieses Jahres waren in Wien acht Prozent ohne Job. Im August 2005 waren 3855 offene Stellen beim Arbeitsmarktservice gemeldet, heuer waren es 5704. Laut dem Institut für Höhere Studien hatten in Wien 2005 im Jahresdurchschnitt 756.561 Menschen Arbeit, 2009 waren es 789.000. Die aktuellste Zahl: Im August hatten 794.000 Menschen in Wien einen Job.

Eine der wenigen konkreten roten Forderungen im Wien-Wahlkampf 2005 war jene nach 1000 Polizisten mehr für Wien. Aber sogar der Wiener Bürgermeister hat in dieser Frage wenig zu melden, über die Zahl der Posten entscheidet das (damals wie heute) VP-geführte Innenministerium. Seit 2009 gibt es jedenfalls eine Personaloffensive, bis 2013 werden jährlich 450 Polizeischüler zusätzlich aufgenommen. Abzüglich ausscheidender Polizisten hofft man bei der Wiener Polizei, in den nächsten Jahren die 1000 plus zu schaffen.

Naturgemäß recht schwer tun sich die Oppositionsparteien damit, Forderungen durchzusetzen - und verwirklichte die SP in den letzten Jahren deren Ideen, dann hängte sie ihnen flott ein rotes Mascherl um - wie beim Gratiskindergarten oder der 24-Stunden-U-Bahn (beides ÖVP).

Opposition bleibt sich treu 

Die Oppositionskampagnen von 2005 und 2010 unterscheiden sich nur graduell. Die Grünen forderten vor fünf Jahren noch "Nie mehr sprachlos", heuer sind sie "startklar für die Schulreform". Die FP sollte man 2005 wählen, damit "der echte Wiener nicht untergeht", in der aktuellen Version reimen die Blauen "Mut" auf "Blut". Bei der VP hat sich der Spitzenkandidat geändert, nicht aber der Spruch: "Weil er zeigt, wie's anders geht", stand 2005 neben dem Konterfei von Johannes Hahn; "Es geht auch anders" verspricht nun Christine Marek. (Bettina Fernsebner, Andrea Heigl, DER STANDARD, Printausgabe, 1.10.2010)