Der Nordatlantikpakt könnte bei solchen Angriffen in Zukunft den Beistandsfall ausrufen.

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Brüssel/Tallinn/Wien - Die Computer von Banken spucken nur noch falsche Daten aus. Satelliten stürzen ab. Chemiefabriken gehen in die Luft, und die Strom- und Wasserversorgung sowie die Verkehrsleitsysteme werden lahmgelegt. Der Krieg mit dem Joystick ist ein Albtraumszenario, das immer mehr Militärstrategen auf den Plan ruft. Auch die Nato rüstet sich gegen Attacken aus dem Internet. Die Abwehr sogenannter Cyber-Angriffe ist Teil des neuen strategischen Konzepts des Bündnisses, welches der Nato-Gipfel im November in Lissabon verabschieden soll, das strenger Geheimhaltung unterliegt.

Bereits im Mai hatte eine Expertenkommission unter dem Vorsitz der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright den Entwurf einer neuen Nato-Sicherheitspolitik vorgelegt. Die Verteidigung des Cyberspace in dem Konzept "Nato 2020" hat höchste Priorität. Anders als im Kalten Krieg stehen sich nicht mehr zwei Lager gegenüber. Auch Russland, China, Indien, Südkorea, Pakistan, Frankreich und Israel werden zu den kommenden Cybermächten gerechnet.

Mit der Abwehr von Internet-Angriffen geht Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen aber besonders auf Forderungen osteuropäischer Mitgliedstaaten ein. 2007 legten schließlich Hacker Server in Estland lahm, die Spur ließ sich nach estnischen Angaben bis nach Russland zurückverfolgen. Zuvor hatte die estnische Regierung das sowjetische Ehrenmal in Tallinn schleifen lassen. Im Krieg 2008 gegen Russland war die georgische Armee zeitweise völlig führungslos, weil Funkgeräte, Telefone und Computer durch Hacker außer Kontrolle gerieten. Israelische Militärhacker hatten ebenfalls 2007 die syrische Luftabwehr mit schädlicher Software lahmgelegt. Angriffsfläche bietet, wer in hohem Maß von vernetzten Computersystemen abhängig ist wie etwa der Westen.

Die USA sind sich bewusst, dass ihre Infrastruktur von etwa 20 Staaten durch Cyberattacken nachhaltig geschädigt werden kann. Die USA halten derzeit auch mit Beteiligung zwölf europäischer Ländern eine Übung namens Cyber Storm III ab, welche eine großangelegte Attacke auf die amerikanische Infrastruktur simuliert. Vor einem Jahr richteten die USA ein Cyber Command in Fort Meade ein.

Die Nato hat bereits vor fünf Jahren im estnischen Tallinn das Cooperative Cyber Defense Centre of Excellence gegründet. Christian Czosseck weist darauf hin, dass bisher durch Cyberattacken anders als durch konventionelle Waffen noch kein Menschenleben gefährdet wurde. Aber: "Viele Nationen haben verstanden, dass der Cyberspace ein potenzielles Schlachtfeld der Zukunft wird" , so Czosseck.

Manche Militärs würden neben Land, Wasser und Luft einen weiteren Bereich in ihre Strategien einbauen. Czosseck betont zudem, dass Cyberattacken nicht nur von Militärs ausgeführt werden. "Um sich effektiv dagegen zu schützen, ist das Militär zu eingeschränkt" , so der Hauptmann des Cyber Defense Center in Tallinn auf Anfrage des Standard.

Das hielt einen der Mitbegründer des Zentrums nach dem Angriff auf die estnische Infrastruktur nicht davon ab, Putin ein paar Kisten Champagner schicken - weil der Angriff, den Russland natürlich bestritten hat, dem Zentrum die Zukunft sicherte. (Adelheid Wölfl/DER STANDARD, Printausgabe, 2.10.2010)