Die Einheit nennt er im Gespräch mit Birgit Baumann aber eine Sternstunde.

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STANDARD: Wie ging es Ihnen in jener Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990, in dem die DDR zu existieren aufhörte?

Meckel: Ich war bei den Feierlichkeiten in Berlin, Massen von Menschen drängten sich dort. Wir hatten erreicht, was wir wollten: Die friedliche Revolution hatte die kommunistische Diktatur hinweggefegt. Danach wurde die Einheit in einem Verhandlungsprozess ermöglicht. Wenn man bedenkt, dass die Deutschen noch 50 Jahre zuvor so viel Schrecken und Terror über Europa gebracht haben, dann konnte man am 3. Oktober nur glücklich sein.

STANDARD: Viele waren nicht so froh. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) beklagt noch heute, es habe sich um keine Wiedervereinigung, sondern um einen Anschluss gehandelt.

Meckel: Ursprünglich wollten wir die Vereinigung nach Grundgesetz Artikel 146. Das ging aber nicht, die Menschen machten so viel Druck. Schon bei der ersten freien DDR-Volkskammerwahl am 18. März 1990 war klar: Es wird ein Beitritt. Mir war immer wichtig, dass es nicht einfach nur ein Beitritt sein wird, sondern dass dieser Prozess nach Verhandlungen zwischen den beiden demokratischen deutschen Staaten mit einem Vertrag abgeschlossen wird. Ostdeutschland wurde also nicht kolonialisiert.

STANDARD: Der Einigungsvertrag wurde sehr schnell ausverhandelt. Zu schnell, sagen heute viele.

Meckel: Diese Schnelligkeit kam durch den Druck der Straße. Auch nach der Maueröffnung im November 1989 verließen Zehntausende die DDR. Wir standen unter doppeltem Druck: Die Ostdeutschen drängten, weil sie dachten, nach der Einheit gäbe es sofort Wohlstand, was naiv war. Die Regierung der Bundesrepublik machte Druck und versuchte den Prozess zu dominieren. Der damalige Kanzler Helmut Kohl hatte natürlich auch die Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 im Blick und war nicht sehr sensibel gegenüber den Ostdeutschen. Trotzdem: Bei aller Kritik im Einzelnen - die Vereinigung in Freiheit, das war eine Sternstunde für die Deutschen.

STANDARD: Sie waren auch bei den Zwei-plus-vier-Verhandlungen dabei, die Deutschland mit den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion führte, damit die Einheit ermöglicht werden konnte. Wo lagen da die größten Schwierigkeiten?

Meckel: Besonders heikel war, dass wir die Sowjetunion dafür gewinnen mussten, die volle Souveränität und damit Nato-Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands zu akzeptieren. Ich war bei der Nato auch kritisch, denn sie war in ihrer Bewaffnung und Strategie noch stark vom Kalten Krieg geprägt. Wir hofften auf gesamteuropäische Sicherheitsstrukturen für die Zukunft. Letztendlich hat die Sowjetunion zugestimmt, weil sie - auch aus wirtschaftlichen Gründen - keinen anderen Weg sah, als sich mit dem Westen zu verbünden.

STANDARD: Von der DDR blieb nichts übrig - bloß die typischen grünen und roten Männchen bei den Verkehrsampeln. Bedauern Sie das? Oder ging es nicht anders?

Meckel: Die DDR als Diktatur wollten wir ja abschaffen, unser eigenes Leben aber nicht. Das Genossenschaftswesen in der Landwirtschaft oder im Handwerk hätte man nicht wegfegen müssen, auch nicht die Polikliniken. Aber die damalige CDU/FDP-Regierung war nicht bereit, die Debatten waren sehr ideologisch geprägt. Wer Strukturen der DDR erhalten wollte, machte sich verdächtig.

STANDARD: Andererseits hat die Bundesrepublik sich die Einheit sehr viel kosten lassen.

Meckel: Klar, so etwas gibt es nicht kostenlos. Aber man darf nicht vergessen: Damals war weltweit Rezession. In Deutschland wurde sie dadurch abgemildert, dass westdeutsche Unternehmen die Produktion ankurbelten und den Osten versorgten. Viele ostdeutschen Betriebe aber gingen kaputt.

STANDARD: 20 Jahre nach der Einheit fühlen sich viele Ostdeutsche als Deutsche zweiter Klasse. Was können Politiker dagegen tun?

Meckel: Wichtig ist, den Anteil der Ostdeutschen an diesen Umbrüchen zu betonen und ihre Leistungen zu würdigen. Es gibt ja wirklich viele Erfolge, man vergleiche nur die Städte damals und heute. Doch wir brauchen endlich die Lohnangleichung im öffentlichen Dienst sowie die Anpassung der Renten. Und wir dürfen nicht aufhören, über unsere verschiedenen Lebensläufe zu reden, um uns besser zu verstehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.10.2010)