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Kurze oder lange "Nabelschnur" für Mitarbeiter?

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"Laissez-faire kann dann gelebt werden, wenn man sehr genau drauf achtet, dass man der Gemütlichkeit nicht Tür und Tor öffnet", meint Alexander Tichy, Managing Director der Radix Group.

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Das Wiener Radix-Group-Team.

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"Scheuen Sie sich nie, um Hilfe zu bitten. Das wird nicht als Schwäche ausgelegt und nichts kommt schlechter rüber, als wenn ich vorgebe etwas zu können, das ich nicht kann", so Ilse Bittermann, Chefin der Bautischlerei Bittermann Holzbau GmbH in Steyr.

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"Laissez-faire kann in einem Unternehmen dann gelebt werden, wenn man sehr genau drauf achtet, dass man der Gemütlichkeit nicht Tür und Tor öffnet. Messung und Kontrolle sind die Voraussetzungen für ein entspannt produktives Betriebsklima", weiß Alexander Tichy, Managing Director der Radix Group. Die Radix-Group widmet sich seit 2002 der Marktforschung, Werbung und PR. "Wir sind hart in der Sache, aber weich im Stil", erklärt Tichy seine Führungsprämisse, die auch nach außen gelebt wird. Dafür werde man in der eigenen Branche zwar manchmal belächelt, "aber es geht uns nicht um schnelle Profitmaximierung sondern um nachhaltige Ergebnisse".

Nicht ohne Kontrolle

Im Wiener Büro sind fünf Angestellte und neun selbständige Unternehmer tätig. Darüber hinaus arbeiten insgesamt 180 bis 200 freiberufliche Mitarbeiter im Feld auf Honorarbasis. Ob Mitarbeiterführung hier überhaupt ein Thema sei? "Sogar ein sehr relevantes, denn die Menschen, die bei Radix arbeiten, sind ein heterogener Mix, den man unter einen Hut bringen muss. Einen Selbständigen muss man völlig anders führen als einen Angestellten", weiß Tichy. Das Laissez-faire-Gefühl dominiere bei Radix, sei aber ohne Kontrollmechanismen nicht möglich. Die Menschen könnten sich selbst verwirklichen, nichts desto trotz komme ein sehr gutes Projekt- und Performancecontrolling zum Einsatz. Regelmäßige Managementmeetings und Team Jours fixes sind an der Tagesordnung. Fragen werden in einem open Space-Klima gestellt.

"Bei uns wird niemand ausgebrannt"

Von den 14 Mitarbeitern in Wien sind zwei als Personalentwickler tätig. In anderen Unternehmen betrage das Verhältnis oft 1.500:2, zieht Tichy Vergleiche. Theoretischen Modellen der Mitarbeiterführung steht er mit Skepsis gegenüber: "Ich bin überzeugt davon, wenn man sich eine Mütze aufsetzt, die nicht passt, fällt sie irgendwann runter. Man kann natürlich Anregungen finden, aber jede Führungspersönlichkeit muss ihre eigenen Erfahrungen machen, ihren eigenen Stil finden." Einfluss auf seine Strategien hatte Jim Collins Buch "Good to great" ("Der Weg zu den Besten") sowie das "Level 5 Leadership"-Konzept, das den Antrieb der Führung nicht in Zentriertheit und starkem Geltungsdrang für sich selbst und Erfolg nicht für sich selbst, sondern für das Unternehmen und das Team definiert.

Das Verhältnis zu den Mitarbeitern definiert Tichy als sehr gut: "Bei uns wird niemand ausgebrannt. Es finden regelmäßig aufwändige 360°-Feedbacks mit individueller Coachingbetreuung statt. Leistungen der Führungspersönlichkeiten werden mit Bewertungen und Wunschszenarien versehen, anschließend erfolgt eine Rückmeldung an die Mitarbeiter."

Bewusste Fehlerkultur

Tichy setzt an einer bewussten Fehlerkultur an, denn "es gibt kaum etwas Schlimmeres als nicht kommunizierte, überzogene Erwartungshaltungen, die zu einer Loose-Loose-Situation bei den Mitarbeitern führen." Auch für ihn persönlich sei es ein Lernprozess gewesen, die eigenen Erwartungshaltungen zu reflektieren, zu erkennen, wie sie gelebt und artikuliert werden.

Zuerst das "Wer", dann das "Was"

Es liegt es am Unternehmen, welche Mitarbeiter rekrutiert werden. Deshalb ist Tichy in der ersten Runde der Bewerbungsgespräche immer persönlich dabei. "Zuerst geht es nur um das 'Wer‘, erst in der zweiten Runde um das 'Was‘. Zuerst wird ermittelt, ob diese Person in unser Unternehmen passt, die Unternehmenskultur mit trägt und nachhaltig positiv beeinflusst, danach geht es im Detail um die Qualifikationen". Eine Strategie, die Tichy allen kleinen und mittleren Unternehmen ans Herz legt.

Stille Post in der Tischlerei

Ganz anders ist die Firmenkultur in einer Bautischlerei in Steyr. Auch das Metier ist ein völlig unterschiedliches. Das bedingt eine andere Firmenphilosophie. "Früher, als die Tischlerei noch viel mehr Mitarbeiter hatte, eine Zimmerei und ein Sägewerk angeschlossen waren, gab es mehrere Meister, die die Mitarbeiter führten. Der Chef war vorwiegend außer Haus und hat sich um Auftragsbeschaffung gekümmert - da war das persönliche Engagement von ganz großer Bedeutung, und es ging auch oft geselliger und entspannter zu als heute." Nun ist Ilse Bittermann selbst für den Bereich Mitarbeiterführung zuständig. Der kollegiale Stil ist gleich geblieben, aber "Laissez-faire ist nichts, zumindest nicht in dieser Branche. Jeder braucht klare Vorgaben und Anweisungen", ist die Firmenchefin überzeugt. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sonst jeder ein bisschen etwas anderes versteht, wie bei der 'Stillen Post‘."

Harter Ton auf der Baustelle

Ilse Bittermann führt die Bautischlerei Bittermann Holzbau GmbH, die sich in dritter Generation der Produktion von Fenstern widmet. 1924 wurde der Betrieb vom Großvater begründet, nach seinem Tod übernahm die Großmutter, später dann Ilse Bittermanns Vater. Als die heutige Chefin vor mehr als 20 Jahren die HTL für Innenausbau in Mödling absolvierte, war sie die einzige Frau in einer Männerdomäne. Erst in den letzten fünf, sechs Jahren habe sich die Frau am Bau durchgesetzt, "aber auf den Baustellen geht es nach wie vor hart zu", erzählt Bittermann aus der Praxis. "Ich bin ein höflicher und freundlicher Typ, aber wenn man immer zuvorkommend ist, wird man schnell einmal übervorteilt und ausgenutzt."

"Du" oder "Sie"?

Als Bittermann die Werkstatt übernommen hat, war für sie das Thema Mitarbeiterführung nicht gerade einfach: "Für eine Generation Mitarbeiter bin ich das kleine Mädchen geblieben." Mittlerweile sind diese in Pension gegangen. Mit jenen, die gleichzeitig mit ihr im Betrieb begonnen haben, ist Bittermann per du, denn "vor zwanzig Jahren wäre es komisch gewesen, Gleichaltrige mit 'Sie‘ anzusprechen." Der einzige, mit dem die Firmenchefin per du ist, ist der Techniker, "weil wir uns von vornherein so gut verstanden haben, ist uns das plötzlich rausgerutscht." Ansonsten spricht Bittermann ihre14 Mitarbeiter mit Vornamen und per Sie an. "Das halte ich für eine gute Mischung aus Respekt und persönlicher Anrede."

"Meine Leute lassen mich nie im Stich"

"Wie du in den Wald rufst, kommt es zurück", ist ein Motto Bittermanns. Eines ihrer wesentlichen Themen bei der Mitarbeiterführung ist, Aussagen klar zu definieren und zu kommunizieren: "Wenn ich vorgebe, wann etwas fertig zu stellen ist, ist mein Ton sicher klarer als wenn ich durch die Werkstatt schlendere. Auch ich selbst brauche die Vorgabe seitens meiner Kunden, wann etwas fertig sein soll." Wenn Termine nicht so dringend sind, lässt Bittermann alles etwas lockerer laufen, wenn Termine anstehen, werden sie im Team besprochen und Pläne erstellt. "Wir sind ein Team", betont Bittermann. "Wenn es stressig wird, sage ich 'Burschen und Mädchen, jetzt heißt es angasen' und dann wird natürlich auch einmal gemault. Aber wenn alle länger arbeiten müssen, stehe selbst in die Werkstatt und bestelle am Ende Pizza für alle." Auch ersteres ist eine Freude für die Mitarbeiter, die ihrer Chefin dann ganz genau auf die Finger schauen. "Meine Leute lassen mich nie im Stich", betont Bittermann.

"Um Hilfe zu bitten ist keine Schwäche"

Was Bittermann anderen Unternehmensgründern vermitteln will: "Scheuen Sie sich nie, um Hilfe zu bitten. Das wird nicht als Schwäche ausgelegt und nichts kommt schlechter rüber, als wenn ich vorgebe etwas zu können, das ich nicht kann." Als Beispiel erzählt sie von ihrem ersten Besuch auf einer Baustelle vor rund 20 Jahren. Es regnete, es wurde am Kanal gearbeitet und vor dem Haus war ein tiefer Graben. Im Rock und mit Regenschirm hatte die junge Frau keine Chance, diesen zu überwinden um in das Gebäude zu gelangen. "Die Bauarbeiter haben mich beobachtet, wie ich davor gestanden bin. Ich habe gefragt: "Ich muss ganz dringend in das Haus. Bitte können Sie mir helfen?" Sofort wurde ein Schallungsbrett über den Graben gelegt. "Beide Seiten haben sich gefreut", erzählt die Chefin, die sich nicht verkleiden will und deshalb auch in Rock und Bluse auf Baustellen aufkreuzt. "Mit jeder anderen Aktion hätte ich mich blamiert. Diese Situation rufe ich mir auch heute immer wieder in Erinnerung." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 01.11.2010)