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Unterscheidunsgmerkmal: die Kappenrichtung.

Foto: Reuters/Bader

Wien - Den Finaleinzug in Wien hatte man Andreas Haider-Maurer nicht zugetraut, niemals. Und das aus gutem Grund: Bislang gewann der Österreicher lediglich zwei Spiele auf der ATP-Tour, sein bislang größter Erfolg war bezeichnender­weise eine knappe Niederlage, nämlich jene in fünf Sätzen gegen Robin Söderling zum Auftakt der diesjährigen US Open. Dann kam der unglückliche und von Eigenfehlern geprägte Auftritt im Daviscup gegen den Israeli Dudi Sela und schließlich musste Haider-Maurer in der ersten Runde von Wien auch noch Publikumsliebling Thomas Muster aus dem Feld räumen. Der US-Amerikaner Andy Roddick war einst froh nicht gegen Andre Agassi antreten zu müssen, denn schließlich sei es nicht erstrebenswert, als jener Typ in die Geschichte einzugehen, der Bambi auf dem Gewissen hat. Haider-Maurer blieb diese undankbare Aufgabe nicht erspart. Alles in allem keine Kombination, die sofort zu erhöhten Popularitätswerten führt.

Bitterer Beigeschmack

Umso erstaunlicher waren dann der weitere Turnierverlauf und die Siege des 23-Jährigen gegen Andreas Seppi (Nummer 51 der Welt), Marin Cilic (14) und Michael Berrer (53). Mit jedem Erfolg stieg das Selbstvertrauen, Haider-Maurer packte immer öfter und gewinnbringend seine gegen Muster noch unter Verschluss gehaltene Vorhand aus, ein bis dahin nicht für möglich gehaltenes Potenzial offenbarte sich. Und trotzdem wird seiner Woche ein bitterer Beigeschmack haften bleiben, denn Haider-Maurer hatte im zweiten Satz des Endspiels bei eigenem Aufschlag die Möglichkeit, das Märchen vom Aufstieg des glücklichen Verlierers zum Turniersieger fertig zu schreiben, als doch noch der größte Feind jeden Sportlers auftrat: der Gedanke. Urplötzlich funktionieren die einfachsten Dinge nicht mehr.

Lehrreiche Niederlagen

Jürgen Melzer kann mehrere Lieder davon singen, er galt früher als nervenschwach, sogar das Schlagwort vom "Vermelzern" machte die Runde. Doch bittere Niederlagen wie jene nach jeweils zwei gewonnenen Sätzen gegen Andy Murray bei den US Open 2008 oder gegen den Deutschen Philipp Kohlschreiber im Daviscup 2009 ließen den nun zweifachen Wien-Sieger reifen, die sogenannten "Big Points" gehen jetzt zumeist an ihn. Der Tennisprofi braucht mehr Routine denn je, der Altersdurch­schnitt der Top-100-Spieler beträgt derzeit 27 Jahre, Tendenz steigend, einen Teenager sucht man in diesen Sphären vergeblich.

Damals gewann der Außenseiter

Als sich am 23. Oktober 1988 letztmals zwei Österreicher im Finale von Wien gegenüberstanden war Horst Skoff gerade mal 20 Jahre alt, sein Gegner Thomas Muster 21. Muster hatte in jenem Jahr mit vier ATP-Turniersiegen endgültig den Sprung in die Weltklasse geschafft, kam als Nummer 13 der Welt nach Wien und war dort als Nummer 1 gesetzt. Skoff, bis dahin mit Muster auf Augenhöhe, hatte als Nummer 65 der Weltrangliste Boden verloren und ging ungesetzt in das Turnier. Trotzdem gewann Skoff als Außenseiter das Endspiel in vier Sätzen, einerseits profitierte er von einer Magenverstimmung seines Gegenübers, andererseits hatte auch Skoff trotz seiner jungen Jahre bereits einen Turniersieg auf ATP-Ebene zu Buche stehen und wusste mit einer solchen Situation umzugehen. Es war im dritten Aufeinandertreffen übrigens der erste Sieg des Kärntners und gleichzeitig ein Wendepunkt in der gemeinsamen Geschichte: die nächsten vier Begegnungen sollten, man mag es kaum glauben, ohne Satzverlust ebenfalls an Skoff gehen.

Finaleinzug als möglicher Türöffner

Für Haider-Maurer könnte sich der Finaleinzug natürlich als Türöffner zur großen Bühne erweisen, er verbesserte sich am Montag um 42 Ränge an die 115. Position der Weltrangliste. Ein direkter Einzug in den Hauptbewerb der Australian Open ist damit nicht gesichert, der Niederösterreicher möchte aber in bis zu drei Challengern noch weitere, wertvolle Punkte sammeln. Dass nämlich auch die Qualifikation unangenehme Gegner bringen kann, zeigte sich einmal mehr in Wien: Haider-Maurer ging gegen den Tschechen Jan Hernych (Nummer 212) und den Kroaten Nikola Mektic (302) jeweils über drei Sätze und stand in diesen Matches länger am Platz als im Viertelfinale gegen den als Nummer 2 gesetzten Weltklassespieler Cilic. Die größere Zahl der absolvierten Spiele machte sich auch im entscheidenden Satz gegen Melzer bemerkbar, Haider-Maurer hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwanzig Sätze in den Beinen, Melzer lediglich derer sechs.

Das Definieren neuer Ziele

Für beide Spieler gilt es, in der kommenden Saison die Ziele nach oben zu revidieren: Haider-Maurer sollte sich in den Top 100 festsetzen, Melzer bei den Grand Slam-Turnieren nach den Sternen greifen, der Sieg in Shanghai gegen Rafael Nadal sowie die starke Leistung gegen Roger Federer bei den US Open lassen vieles möglich erscheinen. Erfreut wird auch Daviscup-Kapitän Gilbert Schaller die Woche registriert haben: für den Länderkampf gegen Frankreich - Gael Monfils gewann am Sonntag in Montpellier seinen ersten Titel 2010 -, scheint man eine aussichtsreiche Nummer zwei  gefunden zu haben.

Geglücktes Turnier

Letztendlich konnte auch Turnierdirektor Herwig Straka strahlen: Trotz des, gemessen an vergangenen Zeiten, schwach besetzten Teilnehmerfeldes und kurzfristigen Absagen prominenter Spieler, muss man von einer geglückten Veranstaltung sprechen. Die Latte für 2011 liegt hoch, vor allem die erfolgreichen Lokalmatadore haben sie dort hingelegt. (Philip Bauer; derStandard.at; 1. November 2010)