Selten liest man in Geschäftsberichten Sätze wie "Blut ist dicker als Wasser" oder Worte wie "Familienbande" . 1998 schrieb Joseph S. Blatter diesen Satz, dieses Wort in den Geschäftsbericht der Fédération Internationale de Football Association, kurz Fifa. Da war der Schweizer noch Generalsekretär der, nun ja, Fußballfamilie, die ihn wenig später erstmals zu ihrem Präsidenten wählte.

Im Juni 2011 will sich der dann 75-Jährige anlässlich des 61. Fifa-Kongresses zum dritten Mal als Fifa-Oberhaupt bestätigen lassen. Am prächtigen, 180 Millionen Euro teuren Zürichberger Familiensitz der Fußball-Weltregierung, Adresse Fifa-Straße 20 - neun Etagen, davon sechs unter der Erde, mit Meditationsraum für die restlichen Weltreligionen.

Voller Stolz zählt Blatter stets die Häupter seiner Lieben, schlägt den 300 Millionen lizenzierten Fußballern weltweit großzügig noch deren Familienmitglieder hinzu, um auf eine runde Milliarde zu kommen. Gesichert ist, dass sich 208 Mitgliedsverbände unter das Dach der Fifa schmiegen - und dass sich die Vereinten Nationen mit ihren 192 Mitgliedern nach Blatters Dafürhalten dagegen ärmlich ausnehmen.

Vielleicht nicht wichtiger als die Uno, aber populärer sei die Fifa, sagt Blatter. Könne sich jene nämlich nicht wenige ihrer Resolutionen an den Hut stecken, würden in seiner Familie 99 Prozent der Entscheidungen auch durchgesetzt. Zum Wohle des Fußballs selbstverständlich. Und hat der Mann nicht recht? Auch die bockigsten Regierungen lenken schnell ein, wenn die Fifa mit Ausschluss droht, weil sie versuchte politische Einflussnahme wittert.

Die verwichenen Weltmeisterschaften in Südafrika wurden als entwicklungspolitische Großtat gefeiert, während der eigentlichen Entwicklungspolitik munter die Ressourcen entzogen werden. Und für das stets eindrucksvolle, die Welt alle vier Jahre in Atem haltende Ereignis spielt es keine Rolle, wenn Vergaben von Fußballweltmeisterschaften, wie sie am Donnerstag für die Endrunden 2018 und 2022 zu zelebrieren sind, in schöner Regelmäßigkeit von Korruptionsskandalen überschattet werden, wenn Mitglieder der Familie bei den lukrativsten Veranstaltungen mitschneiden.

Freilich, die Frage, warum die Moral im Fußball einen höheren Stellenwert als im restlichen globalen Leben einnehmen sollte, hat ausgerechnet Blatter schon selbst recht unvorsichtig beantwortet. Dessen zweites heißgeliebtes F-Wort ist nämlich Fairness. Die Familie solle die sportlichen, moralischen und ethischen Grundsätze widerspiegeln, die die Fifa seit je verkörpere. Unabhängig messen lässt er sich und seine Familie an diesen Grundsätzen nicht. Über Verstöße einzelner Mitglieder wird ausschließlich intern gerichtet. Je unbedeutender die Mitglieder, desto härter die Konsequenzen ist da das Muster. Die großen Fische schwimmen weiter mit.

Dieses Prinzip "Unsere Sache" ungeachtet der Konsequenzen aufzubrechen wäre ein mutiger Schritt. Tun muss ihn die Politik durch Dringen auf Umsetzung gesetzlicher Normen, tun müssen ihn die Sponsoren, indem sie aufhören, den engsten Kreis der Familie mit Millionen zu päppeln, tun müssen ihn wohl letztlich auch die Fans, auf die Gefahr hin, dass der Ball einige Zeit auf unsicherem Geläuf rollt. Ihn zu tun, den Schritt, wird man sich aber nicht trauen. Denn, darauf kann Blatter getrost setzen: Sobald das eigentliche Spiel angepfiffen ist, ist das Spiel seiner Partie vergessen. (Sigi Lützow, DER STANDARD Printausgabe 02.12.2010)