Peter Nijkamp: "Wenn du alles richtig machst als Stadt, wählen dich die Leute, indem sie bei dir einziehen."

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Nahezu 80 Prozent der Europäer leben bereits im städtischen Raum – Tendenz stark steigend. Seit Mai 2010 forciert der EU-Ministerrat eine sogenannte Joint-Programming-Initiative, also die intensivere Kooperation von Mitgliedsländern bei einer Forschungsagenda, die das urbane Europa der Zukunft effizient und lebenswert gestalten soll. Deren Vorsitzender ist der Niederländer Peter Nijkamp.

STANDARD: Werden dringende Fragen unserer Zukunft ausschließlich in Städten beantwortet?

Nijkamp: Eine Stadt entsteht nie durch ein verborgenes Schicksal, sie ist das Resultat von Menschen, die sich entscheiden, dort zu leben, wo individuelle Möglichkeiten realisierbar sind. Städte sind also die rationalste Organisation von Menschen, die zusammen leben müssen. Jetzt kommt's aber: Erst die Bevölkerungsdichte bringt Probleme wie Umweltverschmutzung oder Verbrechen mit sich. Die Lösung kann nun nicht darin liegen, dass wir Menschen wieder übers ganze Land verteilen – die Stadt ist immer auch die effizienteste Form, Dinge zu organisieren.

STANDARD: Parallelstrategien für den ländlichen Raum sind obsolet?

Nijkamp: Ländlichen Gebieten fehlt bereits in vielen Belangen die kritische Masse, und Regierungen mit finanziellen Zwängen schauen auf Effizienz: Im Dorf sperrt die Schule und die Bibliothek zu – es wird bald richtig Stress geben am Land! Ich sehe nur eine selektive Migration: Bist du reich und gesund, fährst du relaxt mit deinen Kindern im Auto aufs Land, um die gute Luft zu genießen. Das ist ein Lebensstil, der einer sozioökonomischen Minderheit möglich ist.

STANDARD: Warum kommt der Ökonom Edward Glaeser ausgerechnet jetzt darauf zu fragen: "Sterben unsere Städte?"

Nijkamp: Er sagt es ja nicht voraus, sondern er fragt. Und er antwortet auch: Solange positive Eigenschaften einer Stadt – Arbeitsplätze, kreatives Umfeld – überwiegen, wird sie wachsen. Wir kennen Industriestädte wie Pittsburgh, die zuerst Jobs und dann Bevölkerung verloren haben. Auf die Frage, was man dagegen tut, gab es eine typisch amerikanische Antwort: "Lasst solche Städte sterben!" Heute ist das wieder eine junge Boom-Stadt.

STANDARD: Ist das ein rein amerikanisches Phänomen?

Nijkamp: Europa hat ähnliche Zyklen – unsere Städte sterben nie für immer. Lille war eine schmutzige Bergbaustadt, die Menschen kehrten ihr den Rücken. Heute hat sie Hightech-Parks und eine Uni – perfekt gelegen auf halbem Weg zwischen London und Brüssel. Städte entwickeln sich nie linear.

STANDARD: Die Wiedergeburt schaffen gestorbene Städte ganz allein?

Nijkamp: Sie hängt von der Reaktionsfähigkeit von Regierungen ab – hier beginnt unser Konzept.

STANDARD: Die Performance einer Stadt messen Sie an XXQ-Faktoren. Klingt lustig, aber was ist das?

Nijkamp: Die Kriterien (für "höchste Stadtqualitäten" , Anm. d. Red.) sind relativ und Städte keine Inseln. In der Krise haben wir gesehen, dass jede Firma innerhalb eines halben Jahres umziehen kann und es tut, wenn nötig. Das nennen die Amerikaner "voting by feet" – wenn du alles richtig machst als Stadt, wählen dich die Leute, indem sie bei dir einziehen.

STANDARD: Was ist der Unterschied zwischen einer Creative und einer Smart City?

Nijkamp: Das Konzept der Creative City ist klar: Es bezeichnet eine Stadt mit starkem Kunst-, Medien, oder Wissenssektor – also wenig regulierten, innovativen Bereichen. Die Smart City ist schwieriger zu fassen: Es handelt sich wohl auch um Wissenskonzentration, die angeblich sogar auf externe Faktoren wie Arbeitslosigkeit reagieren kann. Mein Einwand: Ohne solide Struktur dieses Wissens schafft das keine Stadt.

STANDARD: Deshalb kritisieren Sie die europäische Forschung als zu fragmentiert. Wird es 2050 nur chinesische "schlaue Städte" geben?

Nijkamp: Glaub ich nicht. Europäische Städte haben viele tolle Dinge aus der Vergangenheit. Die können zwar manchmal ein Nadelöhr für die Flexibilität darstellen, aber kulturelles Erbe hat auch Stärken: Tourismus sollte in Zukunft nicht unterschätzt werden.

STANDARD: Die Stadt als Museum ist aber so ziemlich das Gegenteil von einer technologisch potenten Stadt.

Nijkamp: Europas Städte müssen im Gegensatz zu chinesischen nur in einigen Bereichen als Konkurrenten agieren – in anderen können sie sich ergänzen. Ihr technologisches Profil werden unsere Städte in Allianzen mit anderen urbanen Räumen schärfen und dabei das eigene Gesicht behalten.

STANDARD: Unter vier Eckpfeilern für die europäische Stadt formulieren Sie einen sozialen. Lässt sich der technologisch realisieren?

Nijkamp: Drei Pfeiler – der ökonomische, der technologische und der ökologische – können die Gesundheit einer Stadt nicht tragen. Die soziale Partizipation aller ethnischen Gruppen wird über Erfolg und Misserfolg von Städten entscheiden. Neue Technologien sind toll, aber nutzlos, wenn Bürger damit nichts anfangen können. Fragmentierte Stadtplanung hat ausgedient und ist gefährlich für die Vitalität von Städten.

STANDARD: Sie sprechen vom "melting pot" als Garant für innovative Städte. Das wird nicht jede nationale Regierung so unterschreiben.

Nijkamp: Ich glaube nicht, dass irgendeine Regierung die Wahl hat. Dieser Trend läuft seit Jahrzehnten, da kann ich nicht dafür oder dagegen sein – ebenso wenig wie ich grundsätzlich für oder gegen Städte sein kann. Johannes Hahn (EU-Kommissar für Regionalpolitik, Anm. d. Red.) sagt heute, wenn die meisten Dinge in Städten passieren, kann man zwar noch europäische Regionalpolitik machen, aber das trägt nicht mehr zum künftigen Wohlstand Europas bei.

STANDARD: Wann ist sie fertig, die Agenda für ein urbanes Europa?

Nijkamp: Das ist eine Initiative, die von der wissenschaftlichen Basis getragen wird. Es gibt keine stalinistische Herangehensweise, die vorschreibt, wie Dinge erledigt werden. Noch vor dem Sommer haben wir die erste Forschungsagenda und in der zweiten Jahreshälfte kommen Pilotprojekte. (Sascha Aumüller/DER STANDARD, Printausgabe, 02.02.2011)

Wissen: Pilot-Smarties

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Im Juni 2009 beschloss Amsterdam, die energieeffizienteste Stadt Europas zu werden. Als eine der ersten nahm sie für sich den Begriff der Smart City in Anspruch. Die Pilotphase von zwei Jahren umfasst dabei 15 Projekte, die Nachhaltigkeit am Arbeitsplatz, beim Wohnen sowie im öffentlichen Transport und Raum forcieren. Bis zum Jahr 2025 will Amsterdam seine CO2-Emissionen um 40 Prozent (im Vergleich zu 1990) reduziert haben.

Das Konzept einer österreichischen Smart City – mit der Vision der Nullemission – soll städteübergreifend realisiert werden. Wien strebt dabei nicht die Energieautarkie an, sondern will vernetzt von nachhaltigen Energiequellen profitieren. Weiter gestärkt wird der öffentliche Nahverkehr – etwa durch E-Mobile. Welche Zukunftstechnologien in Europa nötig sind, wurde gestern Abend, am 1.2., in einem Forum des Infrastrukturministeriums auch mit Peter Nijkamp diskutiert. (saum)