Jeder Journalist, der in seinem Leben jemals mit Leserbriefen zu tun hatte, weiß: Das ist ein echter Brief, den Karl-Heinz in der Unterhaltungssendung des ORF, genannt Im Zentrum, da vorgelesen hat. Da draußen gibt es wirklich Menschen, die solche Fan-Briefe schreiben und sie heißen nicht Karl-Heinz oder Fiona.

"Sie sind für diese abscheuliche Neidgesellschaft zu jung als Finanzminister gewesen, zu intelligent, zu gut ausgebildet, aus wohlhabendem Haus, ZU SCHÖN, und auch noch mit einer schönen und reichen Frau verheiratet. So viel Glück darf ein einzelner Mensch nicht haben, da muss man was dagegen tun."

Das ist nicht gefälscht. Vor acht, zehn Jahren konnte man nicht in eine bürgerliche Gesellschaft gehen, ohne - von Männlein und Weiblein - ähnliche Anhimmelungen des damaligen Finanzministers zu hören (in manchen Häusern bekam man fast Trottoirverbot, wenn man es wagte, die Lichtgestalt anzuzweifeln). Der ehemalige Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Herbert Krejci, ein Liberal-Konservativer, erinnerte sich, dass man Grasser bei Präsidiumssitzungen der Vereinigung fast "die Kinder zum Segnen gereicht hätte".

Nun, für die Industrie hat Grasser etwas getan: eine (objektiv vertretbare) Senkung der Körperschaftssteuer.

Aber da war mehr. Es war eine Erlösungssehnsucht, die nicht nur das konservative Österreich erfasste. Und die war/ist mehr als bedenklich. Sie ist kein Zeichen für eine erwachsene Einstellung zur Politik. Grasser war ja kein besonderer Finanzminister, eher im Gegenteil. Ein Teil der Volksmeinung ist ja durchaus bereit, eine gewisse Bereicherung zu akzeptieren. "Schaun S'" , sagte mir einmal ein Aristokrat, "früher hat man den Gutsverwalter auch ein bissl stehlen lassen, wenn er nur tüchtig war." Schon, aber Grassers Leistungen waren objektiv sehr bescheiden. Er spielte erfolgreich den modernen, dynamischen Finanzmanager, aber er spielte ihn eben nur.

Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt, weil viele Leute durch ihn einen Haufen Geld verloren haben und die "Optik" seiner Millionen für null Leistung kassierenden Freunderln halt doch zu schief ist.

Mit dem ultra-peinlichen Verlesen des Briefes einer irregeleiteten Anbeterin hat er sich jetzt mit der doppelläufigen Flinte in den Fuß geschossen. Er hatte ja mangels fachlich versierter Gegner die Debatte im ORF schon fast wieder gewonnen; dann kommt er mit dieser Schmierenkomödie (inzwischen auf Youtube ein Hit). Das zeigt, dass er sich nicht mehr anders zu helfen weiß.

Aber das wirklich Unheimliche ist ja die geistige Verfassung, in der sich doch ein nennenswerter Teil der Bevölkerung befand und befindet. Hunderttausende waren bereit, auf einen Scharlatan hereinzufallen. Sie waren (sind?) auf der Suche nach einem Erlöser, auf den sie ihre Träume und Wünsche projizieren können; einer wie aus einer Trash-TV-Serie (Reich und schön). Gewiss, ein Teil der (Boulevard-)Medien hat ja bei dem Grasser-Hype mitgemacht. Aber zu viele haben einfach ihren kritischen Verstand an der Garderobe des Varieté Grasser abgegeben. (Hans Rauscher, DER STANDARD, Printausgabe, 2.2.2011)