Um den Abschiebeversuch zu verhindern, kam der Abschiebestopp aus Straßburg einen Tag zu spät. Am 15. Dezember 2010 war Ousmane C. am Fuß der Flugzeuggangway allein auf sich gestellt

Foto: STANDARD/Christian Fischer

Korneuburg – "Ich sagte, in Guinea sei mein Leben in Gefahr. Man würde mich festnehmen, foltern und ermorden. Sie sagten, das sei nicht ihr Problem. Sie hätten den Befehl, mich dorthin abzuschieben." So in etwa – erinnert sich Ousmane C. vor Richterin Anna Wiesflecker – sei das Gespräch verlaufen, bei dem ihm Fremdenpolizisten in der Nacht auf 15. Dezember 2010 den unmittelbar bevorstehende Abtransport ankündigten.

Ort der Unterhaltung: Ein Verhörzimmer in der Schubhaft an der Wiener Rossauer Lände, wo der 23-jährige Guineer zu diesem Zeitpunkt schon seit 17. August 2010 durchgehend einsaß. Was danach am Morgen jenes Tages geschah, war im Landesgericht Korneuburg am Dienstag Verhandlungsgegenstand: Ousmane C. soll Widerstand gegen die Staatsgewalt begangen und dabei vier Polizisten verletzt haben – schwer, da sie ihre Blessuren in Dienstausübung erlitten haben.

Am nächsten Tag kam der Brief

Denn der junge, nach Festnahme und Folter 2007 aus seinem westafrikanischen Heimatstaat geflohene Ex-Pressesprecher der dortigen Studenten- und Arbeiterbewegung wollte seine gefährdende Rückkehr wenn irgend möglich abwenden. Das Recht dazu hatte er, wie sich tags darauf zeigte: Da gewährte ihm der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg sofortigen Aufschiebestopp, da in Guinea Bürgerkrieg herrsche und von einem Rücktransport dringend abzusehen sei.

Am 15. Dezember war das noch nicht der Fall. Da war C. allein auf sich gestellt, als er morgens um sechs in Polizeibegleitung im Kleinbus auf den Flughafen – und dort bis knapp an die Gangway zum Flieger der Bruxelles Airline – kutschiert worden war. "Ich sah auf der Gangway den Piloten und Stewardessen stehen. Also packte ich, als ich auf der zweiten Stufe stand, mit beiden Händen ein Geländer und hielt mich so lange fest, wie ich konnte", schilderte der kräftige junge Mann.

Rufe auf Französisch

Dann habe er auf Französisch laut gerufen: "Man will mich in ein Land bringen, in dem mir Ermordung droht!" Der aufmerksam gewordene Pilot habe entschieden, ihn nicht an Bord zu nehmen: Rettung in letzter Minute.

An Letzteres erinnern sich auch die vier aussagenden Polizisten. Weiter gehen die Übereinstimmungen nicht. In Schwechat habe der bis dahin kooperative C. im Kleinbus plötzlich sein Verhalten geändert, erzählten Herbert B., Dieter K., Thomas K. und Walter G. unisono: Er habe sich mit den Beinen im Wagen "verspreizt". Auf der Gangway dann habe C. "sein Gewicht fallen lassen", habe "versucht, sich loszureißen" und "mit den Beinen getreten": die Ursache ihrer Blessuren.

Widersprüche

Ob C. bei all dem mit dem Gesicht zum Flugzeug oder zum Wagen stand: Das haben die vier Beamten auf Befragen von C.s Anwalt Georg Zanger dann unterschiedlich in Erinnerung. Detto, wie und an welchem Geländer er sich angeklammert hat.

Zu Mittag wird die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt. Man müsse davon ausgehen, meint Zanger davor, dass C. "in einer Situation des Notstands von seinem Recht auf Notwehr Gebrauch gemacht hat." (Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe, 2.2.2011)

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