Lord Acton, der große liberale Vordenker und Historiker (1834- 1902) sah die Macht als den entscheidenden Faktor, der die Freiheit der Menschen gefährden kann. Sein berühmter Ausspruch - "Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut" - lässt sich uneingeschränkt auf die Vorgeschichte der heutigen arabischen Revolutionen übertragen. Jeden Tag hören wir neue Enthüllungen über das Milliardenvermögen der Diktatoren und ihrer Familien.

In Tunesien und Ägypten sei es ja keine Revolution der Hungrigen gewesen. Es sei der Wunsch nach Menschenwürde und Freiheit gewesen, langfristig könne man unfreie Menschen nicht kaufen. Das sagte kürzlich der ägyptische Politologe und Autor Hamed Abdel-Samad und fügte hinzu: "Es war die Mittelschicht, die auf die Straße gegangen ist und die anderen Gesellschaftsgruppen nach sich gezogen hat." Der gleiche Autor hatte noch im Herbst 2010 eine schonungslose Abrechnung mit dem Islam (Der Untergang der islamischen Welt) in Deutschland präsentiert. Nun ist Hamed Abdel-Samad, der in Kairo den Triumph der revolutionären Jugend erlebt hatte, "mit tiefer Demut und mit Stolz" erfüllt.

Niemand habe das vorausgesehen, sagt er. In der Tat waren alle tunesischen und ägyptischen Intellektuellen genauso überrascht wie die ausländischen Beobachter und erst recht die westlichen Geheimdienste. Zwei bis vor wenigen Wochen absolut stabil scheinende Diktaturen wurden gestürzt, die dritte in Libyen steht "in einem surrealen Todeskampf" (so die Welt), symbolisiert durch den seit 41 Jahren herrschenden Muammar al-Gaddafi, der in seiner letzten wirren Ansprache die Libyer aufforderte: "Singt, tanzt, seid glücklich."

Der Mann, den Kreisky in seien Memoiren noch als "arabischen Robespierre" und "Überrevolutionär" lobte, hat Libyen zugrunde gerichtet. "Trotz des unermesslichen Reichtums aus den Ölquellen hat er sein Volk unterdrückt, in Armut sinken lassen oder ins Exil getrieben", schreibt der ägyptische Autor Chalid al-Chamissi, der Gaddafi auch der Vertreibung und der Aufhetzung zum Mord an den fast eineinhalb Millionen in Libyen lebenden Ägyptern beschuldigt.

Die Revolutionen im Nahen Osten brachen im Namen der Menschenrechte aus und bewiesen dadurch die Unhaltbarkeit der "realpolitischen" These, dass die Massen dort wegen der Zurückgebliebenheit dazu verdammt waren, unter Despoten zu leben. Der französische Philosoph André Glucksmann wies in einem Interview darauf hin, dass die vielzitierte Jerusalem-Frage, also der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, als angeblich entscheidender Faktor bei den Revolten in Nordafrika überhaupt keine Rolle spielte.

Eine andere Frage ist, ob die Israelis bereit wären, nicht in einer ängstlichen Phase des Abwartens auszuharren, sondern durch Zugeständnisse im Friedensprozess zum demokratischen Aufbruch beizutragen. Risiken und Probleme bleiben freilich auch für den Westen, vor allem wegen der Gefährdung der Ölversorgung. Über 60 Prozent der Ölreserven der Welt befinden sich im Nahen Osten. Was nach den absoluten Herrschern Ben Ali, Mubarak und Gaddafi kommt, weiß indessen niemand. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.3.2011)