Einfach sei es auch nicht, wenn manche Mädchen ablehnend reagieren, berichtet Psychologin i. A. Julia Spitzer.

Foto: Güler Alkan

Auffallend ist, dass die Jungs im Gegensatz zu den Mädchen viel gesprächiger sind und sich nicht zieren über ihre Geschlechtsorgane oder das "Runterholen" zu sprechen.

Foto: Güler Alkan

Zwölf Mädchen im Alter von zwölf bis dreizehn sitzen im Kreis. Es ist zehn Uhr vormittags, eigentlich sollten sie im Klassenzimmer in der Kooperativen Mittelschule "Florian-Hedorfer-Straße" in Wien-Simmering sein. Stattdessen lauschen sie im Institut für Frauen- und Männergesundheit im Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien-Favoriten den Worten der Psychologin i. A. Julia Spitzer.

"Sex you can"

"Warum seid ihr heute hier?", fragt Julia Spitzer, die den Schulworkshop "Liebe, Sex und Weiblichkeit" leitet. "Aufklärung" ist das einzige was einer Schülerin einfällt, ihre Schulkolleginnen halten sich mit dem Reden vorerst zurück. "Sex ist ein sehr spannendes Thema", erzählt Spitzer. Dafür erntet sie teils skeptische, teils belustigte Blicke. Die Frage, was sie schon über das Thema Sex wissen, beantworten die Schülerinnen zögerlich und erwähnen den Film "Sex you can", den sie voriges Schuljahr im Unterricht gesehen haben. Auch das "Dr. Sommer-Team" von der Jugendzeitschrift "Bravo" wird als Informationsquelle, z.B. über Oralsex, genannt.

Angst und Schmerz

Während die Mädchen an Plakaten basteln, auf denen sie alles, was sie mit Sex verbinden, aufschreiben, verlässt Spitzer den Seminarraum, damit sie ungestört arbeiten können. Seit mehr als fünf Jahren hält sie Jugendworkshops ab. "Die Mädels richtig anzupacken", sieht sie dabei als größte Herausforderung. "Es gibt sehr aufgeweckte, die man bremsen muss, und andere, die schüchtern sind." Einfach sei es auch nicht, wenn manche Mädchen ablehnend reagieren. Vor allem Mädchen, die ein Kopftuch tragen, seien sehr ablehnend, was das Thematisieren von Sexualität angeht. "Da steht dann nichts auf den Plakaten außer Angst und Schmerz."

Generell sei für die meisten Mädchen der Gedanke an Sex mit Schmerzen verbunden, weniger mit Lust. "Oft stelle ich die Frage: Warum hat man Sex?" Spaß komme dabei als Antwort selten vor. Die jüngeren Mädchen seien noch aufgeschlossen, mit 13 Jahren sei die Neugierde für das Thema groß, "gleichzeitig ist das alles aber auch noch gruselig", so die Workshop-Leiterin. Mit zunehmenden Alter und ersten Erfahrungen steige jedoch das Desinteresse am Workshop. "Die Mädchen glauben dann alles zu wissen, weil sie schon verschiedene Stellungen kennen, aber was ein Orgasmus und der Kitzler ist, wissen sie nicht."

"Pures Lustorgan"

Daher wird in dem Workshop die Anatomie der weiblichen Geschlechtsorgane anhand überdimensionaler Modelle ausführlich behandelt. Über erogene Zonen und das berühmte Kribbeln im Bauch, das sich nach unten verlagert, wird ebenfalls gesprochen. "Erogene Zonen, das sind sensible Körperstellen", erklärt Spitzer. Den Orgasmus beschreibt sie als ein tolles Gefühl. "Ohne den Kitzler zu berühren, ist es schwer einen Orgasmus zu haben. Der Kitzler ist dazu da, um uns Freude zu bereiten, ein pures Lustorgan."

Als die Mädchen davon hören, dass Schamlippen im Erregungszustand anschwellen und der Kitzler bis zu zwölf Zentimeter groß wird, sind einige angewidert und richten den Blick auf den Boden. Als Spitzer davon spricht, dass Frauen mehr Zeit als Männer brauchen, um erregt zu werden, und man daher den Freund bitten könne, die empfindlichen Körperstellen zu massieren, können sich die meisten nicht viel darunter vorstellen.

Um den eigenen Körper besser kennen zu lernen rät Spitzer daher dazu, sich einmal in der Woche "von unten" mit einem Spiegel anzuschauen. Einige Mädchen sind entrüstet, aber vor allem erstaunt über diesen Vorschlag. "Die Jungs machen das auch ständig, nur brauchen sie keinen Spiegel dazu", entgegnet Spitzer der Entrüstung. Sobald es um die Jungs geht, ist das Interesse der Mädchen wieder da. Bei der Demonstration der männlichen Geschlechtsorgane anhand von Schaufolien hält sich die Begeisterung jedoch stark in Grenzen. Drei Mädchen verlassen den Raum, als Spitzer über Hoden und Samen spricht.

Gesprächswillige Jungs

Die männlichen Klassenkameraden haben im Nebenraumauch einen Workshop. Auffallend ist, dass die Jungs im Gegensatz zu den Mädchen viel gesprächiger sind und sich nicht zieren über ihre Geschlechtsorgane oder das "Runterholen" zu sprechen. Für Workshopleiter Markus Zingerle ist das nicht außergewöhnlich, generell seien die Jungs redefreudiger, wenn es um das Thema Sexualität und Liebe geht. So stellen sie viele Fragen, auch zu den weiblichen Geschlechtsteilen, und wollen wissen, ob das erste Mal bei den Mädchen weh tut.

Auch über die Gefühlswelt wird gesprochen. Was sie zum Beispiel machen würden, wenn die Freundin einen nicht mehr liebt und verlässt. "Saufen", "Rauchen", "Kiffen" melden sich einige gleich lautstark und angeberisch zu Wort. "Alkohol ist keine Lösung, das Traurigsein kommt ja zurück", gibt Zingerle zu Bedenken. Erst jetzt werden "Weinen" und "Reden mit Freunden" als Reaktion auf das Verlassenwerden genannt. Für Zingerle ist es wichtig, tradierte Geschlechterrollen aufzubrechen, zu zeigen, dass auch Männer weinen dürfen und Gefühle zeigen können, dass auch das Kuscheln und Streicheln dazugehört.

Cyber-Sex

Ein Junge will wissen, was Cyber-Sex ist. "Porno-Videos sind eine Fantasiewelt. Das ist kein normales Verhalten, das ist ja maschinenhaft. Ein Penis muss nicht immer lang und steif sein. Da findet man komische Bilder von Männern und Frauen, die mit der Realität wenig zu tun haben", erklärt Zingerle den Jungs.

Spitzer berichtet von 10-jährigen Mädchen, die auf dem Schulhof mit Internet-Pornos am Handy konfrontiert werden. "Da kriegen die Mädchen Angst. Wenn man solche Bilder viel zu früh im Kopf hat, wirkt das sehr abschreckend." Viele Mädchen fänden sich mit unsensiblen Burschen ab und die Anzahl der Mädchen, die mit vaginalen Verletzungen ins Spital kommen, habe zugenommen, so Spitzer.

Was in Porno-Videos gesehen wird, werde einfach nachgemacht. "Sie glauben alle, sie müssen Analsex haben, sie glauben, das gehört standardmäßig dazu", gibt Spitzer ein Beispiel. Ihr ist eine emanzipatorische Sichtweise wichtig. Sie ermutigt die Mädchen, sich nicht zu sexuellen Handlungen nötigen zu lassen. "Die Vagina hat einen eigenen Willen, sie kann sagen: nein, heut ist geschlossen", gibt sie den Mädchen mit auf den Weg. (Güler Alkan, 01. März 2011, daStandard.at)