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Das bedrohte, aber leichtfüßige Liebespaar Kitri (Maria Yakovleva) und Basil (Denys Cherevychko) in "Don Quixote" an der Staatsoper.

Foto: APA/Fohringer

Wien - Auf den ersten Blick passiert da bloß eine Zeitreise zurück in die Wiener Ballettwelt vor beinahe einem halben Jahrhundert. 1966 hatte Rudolf Nurejew an der Staatsoper seine Version von Don Quixote, Marius Petipas Klassiker aus dem Jahr 1869, mit großem Erfolg vorgestellt. Und Manuel Legris, der in dem Stück während Nurejews Direktion am Ballett des Pariser Opernballetts getanzt hat, bringt es nun wieder nach Wien.

Es tritt also als Wiedergänger aus drei Jahrhunderten auf, dem 20., dem 19. und dem 17., an dessen Beginn Miguel de Cervantes' Roman El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha erschien. Der erste deutsche Übersetzer des Buchs wählte 1621 übrigens das Pseudonym Pahsch Basteln von der Sohle, was schon einmal ein bisschen an Tanz erinnert.

Die Geschichte vom unerschrockenen Landadeligen Alonso Quijano passt auch perfekt in unsere Gegenwart der medialen, politischen und ökonomischen Windmühlen. Handelt sie doch von einer virtuellen Wirklichkeit, die der Fan von Ritterromanen auf die Realität um sich herum projiziert. Im Ballett ist die Handlung ausgedünnt, doch es soll diese auch gar nicht nacherzählen. Stattdessen enthält das Stück eine Auseinandersetzung damit, was ein Stoff überhaupt sein kann.

Darüber hat sich Nurejew, dessen Grab bei Paris bezeichnenderweise mit einem nachgemachten Teppich bedeckt ist, in seinem Don Quixote ausführlich verbreitet. Schon zu Beginn erscheint dem Helden seine Fantasiegeliebte Dulcinea, geisterhaft von einem Schleier bedeckt. Später hält Don Quixote die Tochter eines Beislwirts für die Inkarnation dieses Ideals. Um ihn dazu zu motivieren, Partei für das bedrohte Liebespaar Basil (Denys Cherevychko) und Kitri (Maria Yakovleva) zu ergreifen, wird ein Puppenspiel vorgeführt, das ihm die Situation deutlich machen soll. Doch in seiner Leidenschaft verwechselt er dieses Schauspiel mit der Wirklichkeit und attackiert den Theaterwagen: Ausgerechnet das Öffnen des Vorhangs verschleiert ihm die Realität des Spiels.

Davon erregt, rennt Don Qixote nun gegen das Monster, die Windmühle, an und wird von deren Flügeln erfasst, mitgerissen und zu Boden geschleudert. Im Ballett ist das ganz offensichtlich eine Puppe - und nicht der Tänzer (Thomas Mayerhofer) selbst -, eine wunderschöne Anspielung Nurejews darauf, dass auch das Ballett eine Täuschung darstellt.

Nach dieser Überraschung ist Don Quixote definitiv par terre und hat eine Halluzination: Als verschleierte Puppe erscheint ihm Dulcinea, die sich im Weiteren - entschleiert - als eine Dryade entpuppt. Aus der ersten Täuschung schält sich also eine Weitere. Darin tanzt keck ein Amor mit einer Gruppe schöner Dryaden, die Baumnymphen sind, wie sie etwa in John Miltons Paradise Lost aufscheinen oder bei Sylvia Plath als Repräsentantinnen der Natur.

Diese Szene ist entscheidend: In dem Stück kommen weder Bäume vor, noch ist nennenswert sonstige Natur im Spiel, während der Don seinem Glück nachjagt. Die Dryaden sind also verkleidete Mänaden, im klassischen Stoff "rasend" tanzende Bacchantinnen, die dem delirierenden Quixote eine Lust vorspiegeln, wie sie auch das Publikum dann im letzten Akt des Balletts mit einem ordentlichen Happy End zugespielt bekommt.

Mit George Didi-Hubermans großartigem Buch Ninfa moderna gelesen, zelebriert Nurejew hier in aller bürgerlichen Romantik die Nymphe vor ihrem Fall. Er umschifft folgerichtig den modernistischen Skandal der bei Vaslav Nijinskys Nachmittag eines Fauns (1912) durch einen Schleier repräsentierten und geschändeten Nymphe. Der Schein siegt, und alle sind glücklich. Großer Applaus in der Staatsoper. (Helmut Ploebst/DER STANDARD, Printausgabe, 2. 3. 2011)