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Michail Gorbatschow (hier bei einer Uno-Konferenz im Jahr 1995): Ohne eigenes schlüssiges Reformprogramm ließ er den Wandel ohne Gewalteinsatz zu, zugleich unterschätzte er die Bedeutung der nationalen Frage.

Foto: epa/Laurent Gillieron

Michail Gorbatschow, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, hat mit seinem Kurs das Ende der Sowjetunion eingeleitet. Ein Vergleich mit der Entwicklung in der arabischen Welt führt zu interessanten Rückschlüssen.

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Wien - Den Friedensnobelpreis erhielt Michail Gorbatschow 1990 dafür, dass er einen - bis auf wenige Ausnahmen - gewaltlosen Wandel im Sowjetimperium ermöglicht hatte. Das war ein Jahr vor dem Ende der UdSSR, das Gorbatschow durch seinen politischen Kurs von Reformansätzen und Zögerlichkeit auf entscheidende Weise mit herbeiführte.

Bis zu seinem Rücktritt als Sowjet-Präsident im Dezember 1991 hielt Gorbatschow am Machtanspruch der Kommunistischen Partei fest. Das haben die Potentaten in der arabischen Welt und im Iran in der gegenwärtigen Revolte mit ihm gemein: Sie sehen sich als legitime Herrscher ihrer Nationen oder tun zumindest so. Im Unterschied zu ihnen aber lehnte der damalige Chef der zerbröselnden östlichen Supermacht den Einsatz von Gewalt ab, um dieses Machtmonopol zu verteidigen.

Gorbatschow habe das System retten wollen; als er merkte, dass dies nicht mehr möglich war, habe er zumindest die Sowjetunion in irgendeiner Weise retten wollen, schreibt der ungarische Autor György Dalos in seinem Buch Gorbatschow - Mensch und Macht. Das Sowjetsystem war nach dem Umbruch in den einstigen ostmitteleuropäischen Satellitenstaaten sicher nicht mehr zu retten. Ob die UdSSR als Staat zu erhalten gewesen wäre, lässt sich im Nachhinein schwer sagen.

Fest steht aber, dass Gorbatschow einerseits kein Reformprogramm hatte, das er offensiv umzusetzen trachtete - womit er seinen Gegnern sowohl auf der demokratischen Seite als auch im orthodoxen Lager das Gesetz des Handelns überließ. Und dass er andererseits die Bedeutung der nationalen Frage vollkommen unterschätzte, wie Dalos betont: weil er, wie alle Sowjetführer, "in einer internationalistischen Utopie erzogen worden" sei oder "großrussisch gedacht" habe.

Beides - mangelnde Reformprogramme, vertreten durch glaubwürdige und weithin anerkannte Persönlichkeiten, und die nationale Frage - könnte beim weiteren Verlauf des Umbruchs in der arabischen Welt eine entscheidende Rolle spielen. So etwas wie eine Führungsnation gibt es nicht (mehr). Den letzten derartigen Versuch unternahm der ägyptische Oberst Gamal Abdel Nasser nach dem Sturz von König Faruk im Jahr 1952. Nasser ernannte sich selbst zum Führer der arabischen Welt und lehnte sich außenpolitisch eng an die Sowjetunion an. Dass dabei auch deren internationalistische Ideologie ein prägender Faktor war, lässt sich vermuten.

Während der - formalen - Vereinigung mit Syrien 1958-61 war Nasser Präsident der Vereinigten Arabischen Republik. Seinen panarabischen Führungsanspruch verlor Ägypten spätestens mit dem Friedensvertrag mit Israel 1979, den Nassers Nachfolger Anwar al-Sadat abschloss.

Die Geschichte des zögerlichen Reformers Gorbatschow lehrt, dass die Macht bei jenen landet, die in einer entscheidenden Phase am entschlossensten zupacken. Im Fall Russlands waren es zunächst jene, die ein einigermaßen schlüssiges Programm hatten: die demokratischen Marktwirtschaftsreformer um Boris Jelzin. Aber deren klägliche politische Praxis ebnete letztlich dem Putinismus den Weg. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 2.3.2011)