Nachrichten aus Blogs, Twitter oder Youtube können politische Beben verursachen und so manche Vorstellungen erschüttern - so weit, so bekannt. Dass sich Meldungen im Internet statistisch gesehen tatsächlich in derselben Art verbreiten können wie Erdbeben, haben nun der Physiker Peter Klimek und seine Kollegen von der Med-Uni Wien herausgefunden.

Das Team von der Forschungsgruppe für komplexe Systeme analysierte die Inhalte von 168 populären politischen US-Blogs, die zwischen Juli 2008 und Mai 2010 verfasst wurden - von Kommentatoren und Journalisten, von Vertretern der Liberalen bis hin zur extremen Rechten. Ein automatisches Suchprogramm fand rund 4000 Schlüsselwörter. Für jedes dieser Wörter wurde der Tag, an dem es am häufigsten verwendet wurde, identifiziert und dann verfolgt, wie oft es 30 Tage vor und nach dem Höhepunkt auftauchte.

Die Nachrichten wurden in zwei Kategorien eingeteilt: "Exogene Ereignisse gehen auf einen äußeren Einfluss zurück. Von einem Tag auf den anderen spricht jeder darüber" , erläutert Klimek. "Endogene Ereignisse werden in der Blogosphäre selbst produziert und bauen sich langsam auf - so wie Youtube-Videos, die irgendwann jeder kennt." Es zeigte sich, dass beide Ereignistypen in ihrer Verbreitung dem Gutenberg-Richter-Gesetz folgen. Dieses beschreibt das Verhältnis von Stärke und Häufigkeit der Erdbeben. Soll heißen: Größere Erdbeben passieren weniger häufig als kleinere. Zudem beobachteten die Forscher, dass die Schlüsselwörter vor und nach ihrem Höhepunkt dem Muster von Vor- und Nachbeben glichen, wie sie im Omori-Gesetz festschrieben sind.

Das stärkste im Untersuchungszeitraum verzeichnete Beben auf der medialen Richter-Skala war die Nominierung von Sarah Palin als Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner - ein exogenes Ereignis. "Die Nachbeben ziehen sich immer noch durch die Gesellschaft" , schreiben Klimek und Kollegen in ihrer Studie, die sie vor kurzem auf der Wissenschafts-Plattform arXiv.org veröffentlichten. Das stärkste endogene Ereignis war die Amtseinführung von Barack Obama.

Druckentladung

"Wenn man weiß, wie der Anstieg am Beginn eines Ereignisses verläuft, kann man zu einem gewissen Grad darauf schließen, wie stark die mediale Aufmerksamkeit sein wird, und wie lange sie anhält" , sagt Klimek. Genaue Voraussagen seien aber genauso schwierig wie bei echten Erdbeben, merkt der Physiker an. Die Prognose von weniger komplexen Ereignissen wie etwa den Einspielergebnissen von Filmen sei jedoch schon jetzt möglich. "In der Gesellschaft ist es wie in der Erdkruste" , sagt Klimek. "Druck baut sich innerhalb eines stark vernetzten Systems so lange auf, bis er sich durch ein oft zufälliges Ereignis entlädt." (kri/DER STANDARD, Printausgabe, 02.03.2011)